Mit dem mächtigen Silberpokal auf dem Tisch fühlte sich Alexander Zverev so bereit wie nie für einen Grand-Slam-Titel. «Ich denke, ja. Warum nicht?», sagte der Tennis-Olympiasieger und grinste verschmitzt.
Sein glänzendes Jahr krönte der 24 Jahre alte Hamburger mit dem zweiten Titel beim Saisonfinale – und schaute bei der abendlichen Pressekonferenz schon auf 2022.
Zverev sehnt sich nach Urlaub und Titel
«Ich habe auf jedem Level Erfolg gehabt – eins fehlt», sagte Zverev mit Blick auf einen Triumph bei einem der vier wichtigsten Turniere. «Ich werde dafür alles tun und so viel Arbeit wie möglich auf mich nehmen und mir den Arsch aufreißen, dass es passiert.» Mit einem eindrucksvollen 6:4, 6:4 hatte er zuvor in Turin gegen den russischen Titelverteidiger Daniil Medwedew gewonnen. «Ich kann mich selber Weltmeister nennen. Das ist schon ein Wahnsinnsgefühl», sagte er. Natürlich sei es nun auch sein Ziel, die Nummer eins werden.
Noch bei der Siegerehrung auf dem Platz bedankte er sich bei seinem Team um seinen Bruder und seine Mutter für die Unterstützung und wurde dann emotional. «Der Einzige, der fehlt, ist mein Dad. Wir vermissen ihn alle. Aber er wird zurückkommen, und wir werden zusammen Trophäen gewinnen», sagte die deutsche Nummer eins gerührt. Warum sein Vater nicht mit ihm zum Jahresendturnier nach Italien reiste, verriet der Weltranglisten-Dritte nicht.
Als er mit einem Ass seinen Triumph perfekt gemacht hatte, riss Zverev die Arme in die Höhe, blickte strahlend zur Hallendecke und umarmte seinen Bruder Mischa. «Natürlich ein Wahnsinns-Jahr mit dem perfekten Abschluss», sagte er im Plausch mit seinem Bruder. Bei der Siegerehrung brannte in seinem Rücken ein Feuerwerk, es regnete Konfetti herab, nachdem Zverev wie 2018 bei den prestigeträchtigen ATP Finals triumphiert hatte.
Zverev unterstreicht Ambitionen für 2022
Knapp vier Monate nach der emotionalen Goldmedaille von Tokio ist er beim Jahresabschluss der Besten der Beste und unterstreicht seine Ambitionen für die nächste Auflage der Australian Open im Januar und den folgenden French Open, Wimbledon und US Open. «Ein extrem effizienter Sieg, um einen weiteren großen Titel zu gewinnen», schrieb Tennis-Ikone Rod Laver bei seiner Gratulation auf Twitter: «2022 wird ein großes Jahr für dich, keine Frage».
Bester Laune kann sich Zverev in die kurzen Ferien verabschieden. Abgesehen von den Grand-Slam-Turnieren und den Olympischen Spielen sind die ATP Finals das bedeutsamste Event, das es im Tennis zu gewinnen gibt. Er gilt jetzt als inoffizieller Tennis-Weltmeister. Im Halbfinale hatte er wie bei den Sommerspielen in Japan gegen Top-Star Novak Djokovic für eine Überraschung gesorgt.
Gegen den US-Open-Titelträger Medwedew knüpfte Zverev an diese Leistung vom Samstag an und gewann völlig verdient. Das Preisgeld von 2,143 Millionen US-Dollar dürfte ihm den Urlaub versüßen, mehr zählen dürfte für ihn aber der sechste Titel in den vergangenen elf Monaten. So viele Turniersiege hat der vielversprechendeste deutsche Tennisspieler seit Boris Becker noch nie in einem Jahr abgeräumt. So viele hat kein anderer in diesem Jahr geschafft.
Rund 17 Stunden nach seinem 7:6 (7:4), 4:6, 6:3-Halbfinalerfolg über Djokovic musste Zverev wieder ran. Zum Lied «Man On A Mission» betrat er die mit rund 7000 Zuschauern gefüllte Halle. Wie schon gegen Djokovic war der Aufschlag der Schlüssel. Zudem überzeugte Zverev mit seinem druckvollen Grundlinienspiel und hatte auch das Glück auf seiner Seite wie beim Netzroller, der ihm das Break zur schnellen 2:1-Führung sicherte.
In der Gruppe verloren, im Finale gesiegt
Am Dienstag hatte der 1,98 Meter große Rechtshänder im Vorrundenspiel gegen Medwedew zu Beginn noch zu wenig die Initiative gegen seinen russischen Weggefährten seit Kindertagen übernommen. Am Ende hatte er die fünfte Niederlage in Serie hinnehmen müssen, wenn auch nur zwei Punkte fehlten. Überzeugt hatte Zverev anschließend klargestellt: «Ich habe immer noch die Chance, dieses Turnier zu gewinnen».
Eindrucksvoll ließ er seinen Worten Taten folgen. Diesmal war Zverev früh der Bessere. Im zweiten Satz holte sich Zverev gleich im ersten Spiel das Break. Neun Siege waren dem Vorjahressieger Medwedew zuvor nacheinander bei den ATP Finals gelungen. Zverev aber hielt abgeklärt seine Führung.
Mit seinem insgesamt 19. Turniersieg hängt der Hamburger schon mit 24 Jahren den früheren Wimbledonsieger Michael Stich ab. Nur Boris Becker hat in der Geschichte des deutschen Herren-Tennis mehr. Die Kritiker, die bemängeln, dass er noch keinen Grand-Slam-Titel gewonnen hat, besänftigt er damit aber noch nicht. «Er ist ein großartiger Typ, ein fantastischer Tennisspieler. Ich bin sicher, bald wird er ein Grand-Slam-Champion sein», sagte Djokovic.