Die Salzburger Festspiele wären nicht die Salzburger Festspiele ohne den «Jedermann» von Festspielmitgründer Hugo von Hofmannsthal (1874–1929). Meist geht die Tragödie auf dem Platz vor der mächtigen Doppelturmfassade des barocken Doms über die Bühne, «bei Schlechtwetter im Großen Festspielhaus», wie das Programmheft es formuliert.

Am Sonntag (24.8.25) wird in Salzburg zum 800. Mal im Rahmen der Festspiele das Stück «Jedermann – Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes» aufgeführt.

Schon 800 oder erst 800 Vorstellungen in den vergangenen 105 Jahren? Das kommt wohl auf die Perspektive an. Alljährlich gibt es nur wenige Aufführungen (früher oft lediglich 6 im Sommer, 2025 sind es 16, davon elf um 21 Uhr und fünf um 17 Uhr), weshalb es mit der 800. Vorstellung etwas gedauert hat.

Auf jeden Fall verging mehr Zeit als etwa beim ARD-«Tatort», bei dem die 800. Episode schon nach gut 40 Jahren anstand und inzwischen nach knapp 55 Jahren schon 1.306 Episoden zusammengekommen sind. 

Okay, das ist Fernsehen und was ganz anderes, aber in Sachen Schauspieler-Aufgebot ist der «Tatort» durchaus vergleichbar mit Salzburgs «Jedermann». Traditionell spielen hier die angesagtesten Bühnenkünstler des deutschen Sprachraums auf.

20 Hauptdarsteller – darunter Brandauer und Eidinger 

Seit 1920 gab es insgesamt 20 Jedermänner. Große Namen übernahmen die Titelrolle, unter ihnen waren Attila Hörbiger, Maximilian Schell, Klaus Maria Brandauer, Ulrich Tukur, Tobias Moretti und Lars Eidinger.

Der aktuelle Jedermann ist der österreichische Schauspieler Philipp Hochmair (51), den Fernsehzuschauer etwa aus der ORF/ARD-Reihe «Blind ermittelt» kennen oder aus der satirischen Nobelbezirk-Serie «Vorstadtweiber».

In dem Stück wird ein sehr wohlhabender Mann – wie man heute vielleicht sagen würde: ein Superreicher – aus selbstzufriedener Feierlaune herausgerissen und an sein nahes Ende gemahnt. 

Während das Salzburger Publikum meistens begeistert ist, betrachten viele Theaterkritiker das Open-Air-Spektakel als belanglose Folklore. An dem Dauerbrenner scheiden sich seit Jahrzehnten die Geister. 

Vorbild mittelalterliche Mysterienspiele

Schon bei ihrer Uraufführung 1911 in Berlin unter der Regie des legendären Max Reinhardt (1873-1943) war diese Tragödie mit ihren Versen sehr unzeitgemäß. Als Vorbild dienten spätmittelalterliche Mysterienspiele. 

Jedenfalls wird es im deutschsprachigen Raum bei Schauspielern und Schauspielerinnen als hohe Auszeichnung gesehen, hier besetzt zu werden. Auch Nebenrollen sind markant und ermöglichen virtuose Darstellungskunst, etwa als Jedermanns Mutter oder Dicker und Dünner Vetter.

Die Rolle der Buhlschaft, der Geliebten des Jedermann, hat zwar nur rund 30 Sätze (darunter «Steh nit auf grüne Buben an, du bist mein Buhl und lieber Mann»), doch sie erzeugt im Theaterbetrieb große Sichtbarkeit. Und sie stößt auch immer wieder Debatten über das aktuelle weibliche Schönheitsideal an.

Fast 40 Buhlschaften – darunter Ferres und Reinsperger

Viele populäre Film- und Fernsehschauspielerinnen zeigten schon ihr Können, unter ihnen Nadja Tiller, Sophie Rois und Veronica Ferres, in den letzten zehn Jahren etwa Stefanie Reinsperger, Caroline Peters und Verena Altenberger.

Die aktuelle Buhlschaft ist die Schweizer Schauspielerin Deleila Piasko (34), die TV-Zuschauer aus der ARD-Miniserie «Die Zweiflers» kennen oder aus der ZDF-Serie «Der Schatten», die das Psycho-Phänomen Gaslighting thematisierte.

Während sich in 105 Jahren nur 20 Jedermänner summierten, waren es bei den Buhlschaften fast 40 verschiedene Besetzungen. 

Als besonders eindrucksvoll gingen etwa Senta Berger, Sunnyi Melles und Birgit Minichmayr in die Geschichte ein. Auch Piasko ist ein Glücksgriff in der aktuellen Inszenierung des kanadischen Regisseurs Robert Carsen (71).

 

Perfekt passt auch Philipp Hochmair, der schon mal 2018 für den erkrankten Tobias Moretti einsprang und gefeiert wurde, und der seit mehr als zehn Jahren den «Jedermann» gekonnt als Ein-Mann-Stück und apokalyptisches Sprech-Konzert aufführt («Jedermann Reloaded»). 

Hochmair in Riege von Voss und Simonischek

Wohl kaum jemand kann die fast peinlichen, sehr pathetischen Verse so überzeugend sprechen, dass sie dennoch zu rühren vermögen. Ähnlich charismatische Jedermänner wie Hochmair waren wohl nur Will Quadflieg, Curd Jürgens, Gert Voss und Peter Simonischek.

Der jüngste Jedermann jemals – damals 39 Jahre alt – war von 2010 bis 2012 Nicholas Ofczarek. Sein Nachfolger wurde Cornelius Obonya, der 62 Jahre nachdem sein Großvater Attila Hörbiger das letzte Mal den Jedermann gab, für 54 Aufführungen übernahm. Seine Tante Christiane Hörbiger spielte öfter die Buhlschaft, seine Großmutter Paula Wessely mimte öfter den «Glauben».

Abstrakte Begriffe wie eben «Glaube», aber auch «Tod», «Teufel», «Mammon» sowie «Werke» (gute Taten) treten im «Jedermann» als Personifikationen auf. Der Tod platzt als Bühnenfigur in Jedermanns Leben, will ihn vor den Schöpfergott führen. Weder sein treuer Knecht noch Freunde noch sein Geld wollen ihn in die Gruft begleiten.

«Die Welt ist dumm, gemein und schlecht»

Erst der Glaube und seine Werke (die guten Werke sind bei diesem reichen Mann ein sehr schwaches Wesen auf der Bühne) bringen den Jedermann dazu, Reue zu zeigen, sich als Christ zu bekennen und bekehrt ins Grab zu steigen. 

Am Ende ist der Teufel enttäuscht, weil er den Jedermann nicht bekommen hat: «Die Welt ist dumm, gemein und schlecht – Und geht Gewalt allzeit vor Recht – Ist einer redlich, treu und klug – Ihn meistern Arglist und Betrug.»