«Wenn du frühmorgens die erste Tour hast und siehst den Sonnenaufgang über dem Wattenmeer: Der Sonnenball steigt auf, und das Watt glitzert im Licht, ein unbeschreibliches Naturerlebnis.» Carsten Chuchra gerät ins Schwärmen. Der 54-Jährige ist Lokführer der Wangerooger Inselbahn und rattert gerade mit Tempo 20 vom Schiffsanleger zum Inseldorf, gerade mal vier Kilometer Schienenstrang. Und das, was er beschreibt, gehört zu seinem Joballtag – und zu einem besonderen touristischen Erlebnis auf Gleisen.
Denn wer nach Wangerooge kommt, kann ein ziemlich spezielles Verkehrsmittel nehmen, wenn er mit der Fähre am Anleger im Südwesten der Insel ankommt: die inseleigene Eisenbahn. Zum Dorfbahnhof geht es dann in einer Viertelstunde durch schönstes maritimes Ostfriesland.
Der erste Zug dampfte am 3. Juli 1897 los. Heute mutet die Inselbahn auf schmalem Gleis an wie ein Überbleibsel aus längst vergangenen Eisenbahnerzeiten. Die Weichen hier werden noch per Hand gestellt. «Wir sind die Exoten der Deutschen Bahn», sagt Martin Brüggemann, der Leiter der Inselverkehre Sylt und Wangerooge.
Die 70 Beschäftigten auf Wangerooge und im Fährbahnhof von Harlesiel verstehen sich als eingespieltes Team. So hilft Lokführer Chuchra mit beim Festmachen der Fährschiffe, beim Kuppeln der Waggons und beim Weichenstellen.
Der pünktlichste Zug der Deutschen Bahn?
Die Inselbahn sowie die vier Wangerooger Fährschiffe zählen zum Geschäftsbereich DB Fernverkehr in Frankfurt. Der bringt ansonsten beispielsweise schnelle ICE-, ECE- und Intercityzüge auf die Schienen. Zwischen diesen und dem Inselbähnchen könnte der Kontrast kaum größer sein. Gestern trifft auf Heute, Digitalisierung auf Nostalgie. Elektronische Stellwerke, elektrische Signale? Alles Fremdwörter bei den Wangeroogern.
Und das Reizwort Verspätung kennen die Insel-Bahner ebenfalls nicht: Um die 20 Minuten dieselt das Bähnchen über kurvige Gleise durch die Salzwiesen und das Dünenland, kein anderer Zug kommt ihm in die Quere. Die Fensterplätze in den altertümlichen Personenwaggons mit den Plattformen sind begehrt. Weit sind die Ausblicke über das Watt hinüber zu dem acht Kilometer entfernten Festland.
Vor dem Zug fliehen die Vögel. Die Naturschützer aus dem Nationalparkhaus berichten, dass vergangenes Jahr Silbermöwen, Heringsmöwen, Austernfischer und Rotschenkel sowie ein Rabenkrähenpaar direkt auf dem Schotterbett des Gleises brüteten. Dort ist es wärmer als in den Salzwiesen nebenan, hatten die gefiederten Insulaner wohl herausgefunden.
Gütertransport und Touristenattraktion
Die Inselbahn ist nicht nur eine touristische Attraktion – für die 1.000 Wangerooger ist sie so etwas wie ihre Lebensader. Denn neben dem Personen- besorgen die DB-Schiffe und das Bähnchen auch den gesamten Frachtverkehr vom Festland über den Hafenbahnhof bis in den Ort. 25.000 Tonnen im Jahr kommen zusammen; es soll ein ertragreiches Geschäft für die Deutsche Bahn sein.
Vom Akkuschrauber über Getränke, Fleisch und Fisch in speziellen Kühlcontainern, Obst und Gemüse, Post und Pakete bis hin zu jedem Ziegelstein wird alles per Schiff und Schiene angeliefert. Auch Retouren werden befördert – eben alles von A bis Z. Inselspediteure verteilen die Waren mit Elektrokarren oder Lastenfahrrädern vom Bahnhof aus auf dem autofreien Eiland.
«Gott schuf die Zeit. Von Eile hat er nichts gesagt.» So steht es auf einem Schild am Hafenbahnhof. Motto für das Inselbähnchen genauso wie für die Urlauber, deren Anreise vom Festland bis ins Dorf schon mal über eineinhalb Stunden dauern kann – je nach Wind und Wellengang. Gestresste Großstädter mag das allemal entschleunigen.
Ebbe und Flut bestimmen den Verkehr der Fähren. «So kommen wir auf 365 Fahrpläne im Jahr, mit jedem Tag verschieben sich die Fahrten zwischen Harlesiel und dem Wangerooger Hafenbahnhof. Nur bei Flut wird die schmale Fahrrinne im Wattenmeer passierbar», erläutert Bahnmanager Brüggemann.
200.000 Feriengäste reisten 2024 mit der Bahn auf die Insel zwischen Watt und Wellen, blieben zumeist eine Woche. Im blitzsauberen Inseldorf scheint nach ein paar Tagen Jeder Jedem schon mal auf der Einkaufs- und Kneipenmeile Zedeliusstraße begegnet zu sein. Roter Backstein prägt das Ortsbild. Wie Fremdkörper wirken dagegen einige neue Apartmenthäuser in Klötzchen-Architektur.
Allenfalls 15 Gehminuten zum Strand
Wangerooge gilt als Insel der kurzen Wege. Hotels, Pensionen und die zahlreichen Ferienwohnungen in allen Preisklassen sind allenfalls 15 Gehminuten vom Strand entfernt, der sich über drei Kilometer an der Nordseite der Insel dahinzieht. 1.000 Strandkörbe werden hier aufgestellt. «So viele wie Einwohner», berichtet Tourismuschefin Rieka Beween (34).
Zur sommerlichen Hochsaison wird die Vorabbuchung der Strandkörbe empfohlen. Richtig voll ist die Insel in den Wochen Ende Juli/Anfang August, wenn sich die Schulferien von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen überschneiden.
Für diese Tage empfiehlt die Insulanerin Beween die Wanderung zur abgelegenen Ostspitze der über acht Kilometer langgestreckten Insel: viel Natur und die Weite unter dem hohen Himmel im Nationalpark und Unesco-Welterbe Niedersächsisches Wattenmeer.
Allerdings kann es schon mal sein, dass man Kreuzfahrtschiffe oder riesige Containerschiffe unterwegs zum Jade-Weser-Tiefseehafen sichtet. Denn Wangerooge liegt an den Schifffahrtsrouten nach Wilhelmshaven sowie Bremerhaven und Hamburg. Für Wangerooge aber, da sind die beiden Fährschiffe und die Inselbahn zuständig.
Links, Tipps, Praktisches:
Reiseziel: Wangerooge hat rund 1.000 Einwohner und ist nach Baltrum das zweitkleinste Eiland der sieben ostfriesischen Nordseeinseln. Auf dem acht Kilometer langen Wangerooge ist man mit der Inselbahn, dem (Leih-)Fahrrad oder zu Fuß unterwegs. Wangerooge ist autofrei.
Anreise: Mit der Deutschen Bahn vom niedersächsischen Oldenburg bis Sande, von dort fahren Busse bis zum Schiffsanleger Harlesiel. Dorthin mit dem Auto gelangt man über die Autobahn A 29 (Oldenburg i. O.-Wilhelmshaven) und die B 210/B 461, beispielsweise ab Berlin in sechs Stunden, ab Köln in vier und ab Stuttgart in rund acht Stunden. In Harlesiel gibt es Parkplätze am Anleger und am Flugplatz (sieben Euro pro angefangenem Tag).
Schifffahrt und Inselbahn: Der Schiffsverkehr ist abhängig von den Gezeiten (Ebbe/Flut), die Anreise mit Schiff und Inselbahn dauert etwa 90 Minuten; die alleinige Bahnfahrt vom Fähranleger im Südwesten der Insel zum Dorfbahnhof eine Viertelstunde.
60 Minuten vor dem Ablegen der Fähre sollte man am Anleger sein. Das Gepäck (Koffer, Bollerwagen, Fahrräder, Fahrradanhänger) mit Hauszustellung auf der Insel muss in Harlesiel aufgegeben werden. Auch bei der Rückreise muss der Gepäckservice in Anspruch genommen werden.
Tickets können online gebucht werden; die Hin- & Rückfahrkarte kostet für Übernachtungsgäste regulär 43 Euro pro Person. Das Deutschlandticket gilt nicht bei der Wangerooge Schifffahrt und Inselbahn.
Weitere Inselbahnen: Ebenfalls auf den ostfriesischen Inseln Borkum, Langeoog, Spiekeroog (als Museums-Pferdebahn) verkehren Inselbahnen jeweils zwischen den Schiffsanlegern und den Inseldörfern.
Reisezeit: ganzjährig, 3. Juli bis 6. September 2025 ist Sommer-Hauptsaison; 20. Dezember 2025 bis 5. Januar 2026 ist ebenfalls Hauptsaison.
Unterkünfte: Es gibt einige Hotels und Pensionen und viele Ferienwohnungen in allen Preiskategorien, insgesamt 6.000 Gästebetten. Übernachtung im Hotel/Doppelzimmer saisonabhängig zwischen 80 und 170 Euro pro Person.
Weiterführende Informationen: wangerooge.deostfriesland.travelnationalpark-wattenmeer.de