Julian Nagelsmann sitzt auf seinem Bürostuhl, die Hände locker im Schoß gefaltet. Das Sonnenlicht scheint durch die Vorhänge am Fenster hinter ihm. Die schweren Personalentscheidungen vor dem Titelangriff in der Nations League verkündet der Bundestrainer in einer Video-Botschaft an die Fans der Fußball-Nationalmannschaft sachlich, pragmatisch: mit Kalkül. 

Beim Final Four vom 4. bis 8. Juni kommt es zur Rückkehr für die lange schmerzlich vermisste Nummer eins Marc-André ter Stegen, Fan-Liebling Niclas Füllkrug und Zauberspieler Florian Wirtz. Aber schweren Herzens verzichtet Nagelsmann auf Jamal Musiala, Kai Havertz und auch Antonio Rüdiger. Und dass, obwohl zumindest Kurzeinsätze der Stammspieler beim wichtigen Mini-Pfingstturnier gegen die Top-Nationen Portugal und Spanien oder Frankreich nach langen Verletzungspausen denkbar gewesen wären.

«Die Ausfälle sind alle extrem bitter», schloss Nagelsmann auch das Fehlen von Nico Schlotterbeck, Tim Kleindienst und Benjamin Henrichs mit ein. Gegen eine denkbare Rückholaktion von Musiala, Havertz und Rüdiger sprachen das Restrisiko erneuter Blessuren durch zu frühe Höchstbelastung, der begrenzte Nutzen durch fehlende Wettkampfpraxis und die Perspektivplanung Richtung WM-Saison, in der die Leistungsträger auf Topniveau auftrumpfen sollen. 

«Ich war sehr viel und intensiv im Austausch. Natürlich hätten wir sie gerne dabei», berichtete der Bundestrainer von vielen Gesprächen mit den Profis und ihren Club-Verantwortlichen. Die Spieler hätten auch «unbedingt gewollt» – ein gutes Zeichen. Bayerns Sportvorstand Max Eberl hatte in Sachen Musiala seine Bedenken öffentlich geäußert und dürfte über die Entscheidung glücklich sein.

«Es bringt uns nichts, wenn wir die Nations League gewinnen. Da freuen wir uns alle drauf und geben alles dafür. Wir haben nichts davon, wenn die Spieler dann drei Monate ausfallen und die WM nicht spielen können», erklärte Nagelsmann. «Ich habe die Entscheidung getroffen, dass wir es nicht machen. Auch wenn es bei allen Dreien vielleicht Spitz auf Knopf geklappt hätte für Kurzeinsätze.»

Mit seiner Kaderauswahl für das Final-Four-Turnier in München und Stuttgart mit dem Halbfinale gegen Cristiano Ronaldos Portugiesen am 4. Juni (21.00 Uhr/ZDF und DAZN) in der Allianz Arena und dem großen Finaltag am folgenden Pfingstsonntag verfolgt der 37 Jahre alte Nagelsmann nun einen klaren Plan.

Der klare Fokus liegt auf den zu 100 Prozent verfügbaren Spielern. Und zu denen gehören neben den prominenten Rückkehrern auch die Neulinge Nick Woltemade vom VfB Stuttgart und Tom Bischof, der von der TSG Hoffenheim zum FC Bayern wechselt.

Bischof profitiert vom Bayern-Wechsel

Dieser Transfer beschert dem 19-Jährigen die erste A-Nominierung. Denn er soll für die Münchner ab Mitte Juni die Club-WM in Amerika spielen. Damit fällt er für die EM der U21-Junioren (11. bis 28. Juni) wegen der Terminkollision aus. Mit seinen Leistungen als Sechser habe sich Bischof die Nominierung verdient, sagte der Bundestrainer. Bischof wisse aber, dass er quasi einen «Step» überspringt. Soll heißen: Er darf mal reinschnuppern bei den Großen. 

Die Club-WM ist für Woltemade mit dem VfB Stuttgart kein Thema. Deshalb soll er sein «gutes Momentum» bei Nagelsmann und der U21 nutzen. «Er muss die Spannung hochhalten und wird das bei beiden Teams gut machen», sagte der DFB-Chefcoach über den ungewöhnlichen Fußball-Sommer für Woltemade. 

Große Rotation nach Italien-Krachern

Im Vergleich zum März-Kader, als in zwei verrückten Viertelfinal-Spielen Italien mit 2:1 und 3:3 bezwungen wurde, mischt Nagelsmann personell ordentlich durch. Sieben Spieler raus, zehn rein. Das Plus von drei ergibt sich durch die am Mittwoch genehmigte UEFA-Regel, dass wieder 26 Spieler bei einem Turnier dabei sein dürfen. «So haben wir mehr Puffer», sagte Nagelsmann dazu. 

Neben dem Neulings-Duo, Wirtz sowie ter Stegen und Füllkrug, die beide in der Team-Hierarchie weit oben stehen, heißen die DFB-Rückkehrer Waldemar Anton, Serge Gnabry, Robin Gosens, Felix Nmecha und Aleksandar Pavlovic. 

Sie haben nun die Chance, sich Richtung WM-Saison 2026 zu zeigen. Und einen DFB-Titel zu holen. Von den Confed-Cup-Siegern, die 2017 letztmals für die Nationalmannschaft einen Siegerpokal in den Händen hielten, sind nur noch ter Stegen, Joshua Kimmich und Leon Goretzka dabei. 

An der Turnier-Vorgabe lässt Nagelsmann keine Zweifel aufkommen. Plan ist ein Sieg gegen Portugal und der Finaleinzug. «Wenn wir unser Topniveau erreichen, können wir sie schlagen. Das ist unser Ziel», versicherte der Bundestrainer. 

Sein Kapitän will in seinem 100. Länderspiel gegen Portugal unbedingt als Sieger vom Platz gehen. «Es wird ein kurzes Turnier, aber für uns auch ein sehr wichtiges Turnier, in dem wir möglichst positiv abschneiden wollen und die Menschen in Deutschland wieder begeistern können», sagte Kimmich.