Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) stößt auch beim Koalitionspartner SPD und in der eigenen Partei mit seinen Äußerungen über das «Stadtbild» und Migration auf Kritik. Der Chef des CDU-Sozialflügels, Dennis Radtke, sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: «Natürlich haben wir an vielen Stellen ein verstörendes Stadtbild, aber zu suggerieren, dies würde sich durch Abschiebungen ändern, ist zu kurz gesprungen, erweckt unerfüllbare Erwartungen und wird der Komplexität des Problems nicht gerecht.»

Die Äußerung wird auch zum Problemfall für die Koalition. SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf warf Merz vor zu spalten. Und die Umwelt- und Klimaaktivistin Luisa Neubauer rief zu einer spontanen Demonstration vor der CDU-Bundesgeschäftsstelle in Berlin auf. 

Merz wollte sich heute bei einer Pressekonferenz in Stuttgart nicht mehr zu dem Thema äußern. «Was ich mit diesem Wort gemeint habe – in der letzten Woche in Potsdam so gesagt, gestern nochmal wiederholt in einer Pressekonferenz – ist deutlich geklärt worden.»

Merz: «Fragen Sie mal ihre Töchter»

Ausgangspunkt für die Debatte ist eine Äußerung des Kanzlers bei einer Pressekonferenz in Potsdam auf die Frage eines Reporters zum Erstarken der AfD. Merz sagte daraufhin unter anderem, dass man frühere Versäumnisse in der Migrationspolitik korrigiere und Fortschritte mache. «Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.» 

Am Montag wurde Merz auf einer weiteren Pressekonferenz gefragt, was er genau damit gemeint habe, was er damit bezwecken wolle und ob er etwas davon zurückzunehmen habe. «Ich habe gar nichts zurückzunehmen», sagte er daraufhin. «Fragen Sie mal Ihre Töchter, was ich damit gemeint haben könnte. Ich vermute, Sie kriegen eine ziemlich klare und deutliche Antwort. Ich habe gar nichts zurückzunehmen. Im Gegenteil. Ich unterstreiche jetzt noch einmal: Wir müssen daran etwas ändern, und der Bundesinnenminister ist dabei, daran etwas zu ändern und wir werden diese Politik fortsetzen.» Merz hat selbst zwei Töchter und insgesamt sieben Enkel.

Töchter wollen vor CDU-Zentralen demonstrieren

Die Äußerungen des Kanzlers wurden von vielen als diskriminierend wahrgenommen. Die 29-jährige Klima-Aktivistin Neubauer schrieb auf Instagram: «Wir sind plusminus 40 Millionen Töchter in diesem Land. Wir haben ein aufrichtiges Interesse daran, dass man sich mit unserer Sicherheit beschäftigt. Worauf wir gar keinen Bock haben, ist, als Vorwand oder Rechtfertigung missbraucht zu werden für Aussagen, die unterm Strich einfach diskriminierend, rassistisch und umfassend verletzend waren.» 

Die Berliner Polizei bestätigte, dass für heute eine Demonstration mit 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Konrad-Adenauer-Haus – der CDU-Bundeszentrale – angemeldet wurde. Sie findet unter dem Motto «Feministische Kundgebung: Wir sind die Töchter» statt. Am Mittwoch soll es auch eine Demo in Kiel geben, die von Fridays for Future organisiert wird. 

Am Sonntag hatte es bereits eine Demo unter dem Motto «Brandmauer hoch! Wir sind das Stadtbild» am Brandenburger Tor in Berlin gegeben. Merz hatte sie mit den Worten kommentiert: «Wer dann meint, dagegen demonstrieren zu müssen, der soll es tun. Der setzt sich dann allerdings auch der Frage aus, ob er ein Interesse daran hat, ein Problem zu lösen oder ob er eher ein Interesse daran hat, möglicherweise den Keil in unsere Gesellschaft zu treiben.»

Radtke: Merz ist nicht mehr der «launige Kommentator»

Auch aus der Union kommt aber Kritik an der Äußerung des Parteichefs – und auch Zweifel daran, ob er damit seiner Rolle als Bundeskanzler gerecht wird. «Friedrich Merz ist nicht mehr der launige Kommentator am Spielfeldrand, der einen raushaut, sondern ihm kommt als Kanzler eine besondere Verantwortung für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, die Debattenkultur und einer positiven Zukunftserzählung zu», mahnte Dennis Radtke, Vorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft Deutschlands (CDA).

Die Kritik Radtkes ist aber zunächst eine Einzelstimme. Zahlreiche Unions-Politiker nahmen Merz in Schutz. «Dass illegale Migration das Erscheinungsbild unserer Städte verändert, entspricht dem normalen Empfinden vieler Menschen – und ich halte es auch für eine Tatsache», sagte Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) der «Bild». Ähnlich äußerte sich CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann. «Mit der Kritik am Kanzler betreibt Links-Grün Empörungs-Politik vorbei an der Wirklichkeit», sagte der Chef der CSU-Abgeordneten im Bundestag der Deutschen Presse-Agentur. 

Rückendeckung erhielt Merz auch vom Vorsitzenden der Jungen Union (JU), Johannes Winkel: «Das, was Friedrich Merz beschrieben hat, stimmt natürlich: Wir erleben seit Jahren eine Zunahme an Gewaltkriminalität, auch an Drogenkriminalität, wir erleben auch übrigens eine Zunahme an Islamismus in Deutschland, und wenn man das anspricht, dann ist man kein Rassist, sondern Realist», sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete im Deutschlandfunk. 

Rund 42 Prozent der Tatverdächtigen Ausländer

Die Äußerungen von Merz durch Zahlen und Fakten einzuordnen, ist schwierig, weil Merz nicht konkret wird. Die von Ausländern verübten Straftaten spricht er beispielsweise gar nicht explizit an. Dazu finden sich in der Polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamts (BKA) Zahlen. Danach wurden 2024 insgesamt knapp 3,4 Millionen Straftaten aufgeklärt und insgesamt 2.184.834 Tatverdächtige ermittelt, darunter 41,8 Prozent ohne deutschen Pass. Der Anteil der Ausländer an der Gesamtbevölkerung liegt bei etwa 15 Prozent.

Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes wies darauf hin, dass Gewalt gegen Frauen nicht in erster Linie auf offener Straße stattfinde. «Der gefährlichste Ort für eine Frau ist immer noch ihr eigenes Zuhause», sagt die Bundesgeschäftsführerin von Terre des Femmes, Christa Stolle, der Deutschen Presse-Agentur.