Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat beim EU-Gipfel mit einer Äußerung zu einer angeblichen Einigung über das Freihandelsabkommen mit den vier lateinamerikanischen Mercosur-Staaten für Irritationen gesorgt. Alle 27 EU-Mitgliedstaaten inklusive des bisher besonders skeptischen Frankreich hätten sich bei einer von Ratspräsident António Costa angesetzten Abstimmung für eine Unterzeichnung ausgesprochen, sagte er nach den zwölfstündigen Beratungen. «Es gibt aus den Mitgliedstaaten jetzt keine Vorbehalte mehr. Es ist erledigt. Es ist durch.» Der Weg für das Abkommen sei frei.
Costa: «Wir haben keine Entscheidung getroffen»
Costa stellte später klar, er habe lediglich die Staats- und Regierungschefs gebeten, mit ihren Botschaftern zu sprechen, um die technischen Probleme mit den Übersetzungen zu lösen, damit das Abkommen rechtzeitig unterzeichnet werden könne. «Aber das war es. Wir haben darüber nicht diskutiert. Wir haben keine Entscheidungen getroffen.»
Der stellvertretende Sprecher der Bundesregierung, Sebastian Hille, bestätigte die Darstellung Costas heute im Wesentlichen. Es sei Einigkeit darüber hergestellt worden, «dass die Botschafter beauftragt sind, alle technischen Vorbereitungen zu treffen, damit das Abkommen noch in diesem Jahr, wie es Ratspräsident Costa gesagt hat, unterschrieben werden kann», sagte er in der Regierungs-Pressekonferenz in Berlin. Auf dpa-Nachfrage bestätigte er anschließend auch, dass es keine formelle Abstimmung über diesen Schritt gegeben habe, sondern die Staats- und Regierungschefs sich darüber lediglich untereinander abgestimmt hätten.
Macron: «Die Arbeit geht weiter»
Merz hatte mit seiner Äußerung auf seiner Brüsseler Pressekonferenz am späten Donnerstagabend auch andere Staats- und Regierungschefs überrascht, zum Beispiel den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Der sagte bei einer späteren Pressebegegnung auf die Frage einer Journalistin danach, dass es eine endgültige Antwort erst in den nächsten Wochen geben könne. «Die Arbeit geht weiter.» Es entwickele sich aber alles in die richtige Richtung und es gebe nach wie vor das Streben nach einem Abschluss.
Österreichs Kanzler sagt weiter «nein»
Der österreichische Kanzler Christian Stocker sagte sehr klar, dass er dem Abkommen aktuell gar nicht zustimmen könne. «Wenn abgestimmt wird bei der derzeitigen Lage, werde ich gar nicht anders können als mit Nein zu stimmen, weil ich an einen Parlamentsbeschluss gebunden bin», erklärte er.
Verhandlungen laufen seit dem letzten Jahrtausend
Über das Abkommen zwischen der EU und den vier Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay wird seit 1999 verhandelt. Die neue Freihandelszone mit mehr als 700 Millionen Einwohnern wäre nach Angaben der EU-Kommission die weltweit größte dieser Art und soll auch ein Zeichen gegen die protektionistische Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump setzen. Geplant ist, Zölle und Handelsbarrieren zwischen der EU und den Mercosur-Staaten weitestgehend abzubauen.
Die EU-Kommission hatte die Verhandlungen über das Abkommen im vergangenen Dezember trotz anhaltender Kritik aus Ländern wie Frankreich abgeschlossen. Es fehlt nun aber noch die Zustimmung der einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Deswegen ist der Deal noch nicht in trockenen Tüchern. Kritiker der Pläne befürchten, dass europäische Landwirte in einen gnadenlosen Preiskampf gezwungen werden könnten und die Regenwaldzerstörung in Südamerika befeuert wird.
Merz spricht von Unterzeichnung am 19. Dezember
Anfang November findet in Kolumbien der EU-Lateinamerika-Gipfel in Kolumbien statt, an dem die Mercosur-Staaten teilnehmen werden. Merz hofft darauf, dass das Abkommen anschließend bis Ende des Jahres unterzeichnet werden kann. Er hat in Brüssel auch schon einen Termin genannt: den 19. Dezember.
