Es war einmal ein Wikingerkönig. Er betete zu Thor, Odin oder Freya und herrschte im Jahr 950 über ein Land, das noch keinen offiziellen Namen trug. Weil er nicht nur einflussreich, sondern auch ideenreich war, gab er einen Stein in Auftrag, der fortan sein Machtzentrum in Jelling schmücken sollte.
Darauf in Runen: «König Gorm errichtete das Denkmal für Thyra, seine Frau, die Zierde Dänemarks.» Mit diesem Satz auf dem bekannten Großen Jellingstein erteilte er nicht nur seiner verstorbenen Königin einen ewigen Liebesbeweis,. Ganz neben rief er eine Nation aus.
Warum dieses kleine Land großes Wikingererbe in sich trägt, macht eine Reise von Jütland über Fünen bis Seeland mit fünf Stopps eindrucksvoll deutlich.
1. Station: Jelling – Steine, die die Welt verändern
Der 1,90 Meter hohe Runenstein in Jelling ist heute Teil eines Erlebnismuseums und Unesco-Welterbe. Hier erklärt Søren Mols, was es mit den zwei Grabhügeln, der Kirche und den Runen auf sich hat. «Wir stehen am Geburtsort unseres Landes», sagt er feierlich. Und einen Krimi liefert er dazu.
In einem der Grabhügel sollten nämlich Gorms Überreste liegen. Auf der Suche nach Wasser entdeckte man zwar zufällig seine Grabkammer mit Waffen, Silber und anderen Beigaben. Nur nicht Gorm.
«Erst 1977 fand man seine Gebeine, ein paar Meter weiter unter der Kirche», sagt Mols. Vermutlich hatte Sohn Harald Blauzahn seine Finger im Spiel. Auch er ließ einen Runenstein anfertigen. Was auf dem 2,40 Meter hohen Monument in Jelling zu lesen ist, veränderte die halbe Welt und leitete das Ende der Wikingerzeit ein. Doch dazu später mehr.
2. Station: Ladby – Im Grab des Königs
Ihren Ruf als gefürchtete Krieger und Händler verdanken die Wikinger vor allem ihrer Seetüchtigkeit. Lange kannte man ihre Schiffe nur aus Sagen, bis 1937 der Fund von Ladby den ersten Nachweis auf dänischem Boden brachte.
Im einzigen begehbaren Schiffsgrab Skandinaviens ist es erlaubt, einzutreten und den 22 Meter langen Rumpf zu umrunden. Darin befinden sich die Skelette von elf Pferden und vier Hunden. Am Bug verzieren eiserne Löckchen den einst bunt bemalten Drachenkopf.
Reparaturstellen deuten darauf hin, dass es auf See war. Wie das Schiff für das Begräbnis hergerichtet worden sein könnte, versuchte man anhand eines originalgroßen Modells nachzustellen: vorne der dahingeschiedene König, gebettet auf edlem, mit Goldfäden durchwirktem Tuch, zu seinen Füßen Teller aus Silber und Bronze, davor Körbe mit Äpfeln, Fellen, Werkzeug und ein Schild. Den meisten Platz beanspruchen die geopferten Tiere im blutigen Geschirr. Ja, ein Wikingertod verlangte viel.
3. Station: Roskilde – Segeln wie die Wikinger
Beim Ladby-Fund blieb es nicht. In den 1960er-Jahren wurden im Fjord von Roskilde die Überreste von fünf weiteren Schiffen geborgen, darunter zwei Kriegsschiffe und eines für die Hochsee. Die zusammengesetzten Wrackteile haben ihr eigenes Museum mit Meerblick, wo sie bestätigen, was alte Lieder längst besungen: Wikinger waren die Herrscher der Meere, gefürchtet und unbesiegbar.
Ein Stück ihres Lebensgefühls lässt sich sogar nacherleben. In der Museumswerft entstehen Wikingerschiffe nach alten Methoden, die an derselben Stelle zu Wasser gelassen werden. Gemeinsam rudert man ein Stück die Bucht hinaus, dann Segel setzen. Schon übernimmt der Wind, bringt Schwung in die Fahrt und das Holz wunderbar zum Knarzen. Wer käme da nicht auf den Gedanken, ihm stünde die Welt offen?
Als Harald Blauzahn nach Gorms Ableben König wurde, hatten die Wikinger bereits seit über 200 Jahren weite Teile Europas in Angst und Schrecken versetzt. Brutal nahmen sie sich, was sie wollten, kannten weder Gnade noch Rücksicht. Warum faszinieren sie uns so?
4. Station: Odense – Tausch gegen das Paradies
Paul Baltzer Heide, Wikingerexperte und Archäologe am Museum Odense, vermutet: «Sie grübelten nicht, sondern machten einfach. Sie waren stark, laut, mutig und unerschrocken. Ich glaube, jeder von uns wünscht sich etwas von ihrem Selbstbewusstsein.»
Angst vor dem Tod kannten zumindest die Krieger nicht: Im Falle eines Falls auf dem Schlachtfeld brachten Walküren sie nach Valhalla, wo sie bis in Ewigkeit Kämpfe und Gelage abhielten.
König Blauzahn hatte für sein Erdendasein mehr im Sinn. Um seine Macht auszuweiten und Allianzen zu stärken, erklärte er um 970 auf seinem eigenen Runenstein alle Dänen zu Christen, nebst einem Abbild von Jesus, und ließ sich taufen.
Möglicherweise holte er kurz darauf seinen Vater aus dem heidnischen Hügel und errichtete über seiner neuen Grabstelle eine Kirche. Blauzahn gelang es unterdessen, sein Volk weiter zu vereinen, indem er es vom Stammesdenken abbrachte und neue Verbündete machte. Er vernetzte Menschen – was erklärt, wie die heutige Bluetooth-Funktechnik zu ihrem Namen kam.
Ausgerechnet im dem Göttervater Odin geweihten Odense, wo die Überreste von Blauzahns gigantischer Ringburg Nonnebakken ihre Ausmaße erahnen lassen und Archäologen unter der Erde weitere Hinterlassenschaften vermuten, endete am 10. Juli 1086 die Wikingerzeit, sichtbar als im Boden eingelassenes Kreuz, das den Altar einer einstigen Kirche markiert. Genau hier kniete betend der letzte Wikingerkönig Knud IV., während aufgebrachte Untertanen ihn mit Speeren durchbohrten.
Vom Papst heiliggesprochen, befinden sich seine Überreste ein paar Meter weiter im Dom von Odense. Das war es also mit den Wikingern. Und die Christianisierung brachte ihnen etwas, das sie aus ihren Erzählungen nicht kannten: Hoffnung.
Denn auf die Nichtkrieger wartete kein Valhalla, sondern das trostlos-graue Schattenreich Helheim. Die Aussicht auf ein friedliches Paradies war für die meisten verlockender.
5. Station: «Land der Legenden» – Wikingeralltag zum Anfassen
Die Wikinger waren nicht gut darin, Andenken zu hinterlassen. Schriftliche Spuren gibt es bis auf vereinzelte Runensteine nicht. Vieles müssen sich Archäologen daher aus unterschiedlichsten Quellen selbst zusammenreimen. Wie sah ihr Alltag aus? Im «Land der Legenden» bei Roskilde wird diese Frage zum Spiel. Hier fällt die Zeitreise leicht.
Draußen riecht es nach Ruß, Leder und altem Fell. Niedrige, mit Reet gedeckte Behausungen, eine offene Küche mit baumelndem Gänsekopf, Lehmofen und Kräutergarten – alles darf erforscht oder ausprobiert werden.
In der 60 Meter langen und 10 Meter hohen nachempfundenen Königshalle aus massiver Eiche lodert ein Kunstfeuer. Filigrane Schnitzereien von Odins Wölfen oder sich windenden Schlangen zieren dicke Säulen. Man kann sich gut vorstellen, wie jeden Moment König und Königin eintreten, auf dem Thron Platz nehmen, um sich mit Kriegern zu beraten oder ausgelassen zu feiern.
«Wir kommen dem echten Wikingerleben hier sehr nahe», verspricht Archäologin Natascha Støvhase, die mit Kindern «Wikingertage» gestaltet: Kleidung herstellen, Körner mahlen, Brote backen. Dafür gab es keine Geschlechtertrennung. Um in einer Gemeinschaft zu bestehen, musste jeder alles beherrschen.
Die Wikingerfrauen waren wesentlich mächtiger und eigenständiger, als lange angenommen. DNA-Proben zeigen, dass viele vermeintliche Krieger in Ehrengräbern tatsächlich Anführerinnen waren.
Auch deutet vieles darauf hin, dass Thyra eine kluge, umsichtige und beliebte Herrscherin war, die ihrem schwerfälligen Gatten Gorm die meiste Arbeit abnahm. Und wer weiß – vielleicht war sie die wahre Königin, ohne die es das nationale Gedächtnis von Jelling nicht gäbe.
Links, Tipps, Praktisches:
Anreise: Von Hamburg ist Jelling mit dem Auto in 3,5 Stunden zu erreichen, von Berlin sind es sechs, von München über elf Stunden Fahrt. Odense ist von Jelling anderthalb Stunden entfernt, Ladby weitere 20 Minuten. Vor dort ist man bis zum «Land der Legenden» anderthalb Stunden unterwegs, restliche 20 Minuten sind es bis Roskilde.
Reisezeit und Öffnungszeiten:
- Die Runensteine von Jelling sind das ganze Jahr über zugänglich, das angeschlossene Nationalmuseum bis auf einzelne Schließtage ebenfalls.
- Das Wikingermuseum Ladby mit dem Wikingerschiffsgrab hat über Weihnachten, am 31. Dezember und den Januar über geschlossen und ansonsten geöffnet.
- Das Wikingerschiffsmuseum in Roskilde hat ebenfalls das ganze Jahr über geöffnet, Bootsfahrten auf dem Fjord sind aber nur zwischen 1. Mai und 30. September möglich.
- Der Ort, an dem in Odense die Ringburg Nonnebakken stand, kann jederzeit kostenfrei besucht werden.
- Das «Land der Legenden» mit der «größten Wikingerhalle Dänemarks» feiert zu Sonderöffnungszeiten am 29./30. November, 6./7. Dezember und 13./14. Dezember 2025 Weihnachten.
Weitere Infos: visitdenmark.de
