Nach dem zweiten Vollfrust-Wochenende nacheinander steht im Kampf um die Fahrer-Weltmeisterschaft für McLaren plötzlich alles auf dem Spiel. Der Teamchef ringt nach Erklärungen, der Geschäftsführer versucht es mit Knuddeln und Trösten, Lando Norris aber wollte erstmal nur ins Bett und Oscar Piastri fehlten ganz die Worte.

Kein Titel für Norris in Katar, kein Sieg für Piastri – stattdessen treten zum ersten Mal seit 2010 im Finale drei Fahrer mit Chancen auf den Titel an. Der Dritte neben den beiden McLaren-Piloten ist nach zwischenzeitlich fast aussichtsloser Lage nun tatsächlich Titelverteidiger Max Verstappen.

«Gib McLaren eine Waffe in die Hand, …. »

Statt seinen ersten Titel zu feiern, musste Norris das fast Unglaubliche auch noch erklären. «Wir hätten einfach nicht das machen sollen, was wir gemacht haben», haderte er. Weil McLaren bei einer frühen Safety-Car-Phase nicht die Reifen wechseln ließ bei beiden Wagen, waren die Aussichten auf einen Doppelerfolg dahin. Norris verpasste am Ende beim Sieg von Verstappen vor Piastri und Carlos Sainz im Williams sogar als Vierter das Podest.

«Gib McLaren eine Waffe in die Hand, und sie würden sich selbst in die Füße schießen», spottete das britische Boulevardblatt «Daily Mail».

Der Hannah-Schmitz-Faktor bei Red Bull

Auch bei Red Bull hatten sie überlegt, nachdem Nico Hülkenberg mit einem demolierten Sauber im Kies stehen geblieben war. Super-Strategin Hannah Schmitz traf einmal mehr die richtige Entscheidung, zur Belohnung durfte die Britin mit aufs Siegerpodest und mit Verstappen feiern. Piastri, der von der Pole gestartet war und bis zum Taktik-Desaster ein nahezu perfektes Wochenende erlebt hatte, mühte sich um Contenance. 

Der 24 Jahre alte Australier, der lange die WM angeführt hatte, geht als Dritter im Klassement in das Finale am kommenden Sonntag in Abu Dhabi. 16 Punkte Rückstand hat er auf Norris, 12 fehlen Verstappen auf den Briten. Schon für Katar gab es trotz der Disqualifikation beider McLaren eine Woche zuvor in Las Vegas eine einfache Rechnung: Gewinnt Norris, ist er der neue Champion.

2010 war Vettel 15 Punkte zurück – und holte den Titel 

Für das Rennen vor der spektakulären 1000-und-einer-Nacht-Kulisse auf Yas Island gilt nun: Kommt Norris aufs Podium, egal wo genau, gehört der Titel ihm. Danach wird es komplizierter und ein Fall für den Rechenschieber. Vor 15 Jahren war es Piastris jetziger Manager Mark Webber, der Zweiter vor dem letzten Rennen in Abu Dhabi war. Als Führender trat Fernando Alonso, damals im Ferrari, an. Er hatte acht Punkte Vorsprung auf den Piastri-Landsmann. 

Allerdings gab es da auch noch einen Sebastian Vettel, der Dritter war und satte 15 Punkte weniger als Alonso hatte. Der Rest waren Tränen der Freude und ein fiepend-heulender Vettel nach der Siegfahrt zum Titel, weil die anderen beiden kapital schwächelten. «Nichts ist unmöglich», postete nun die Formel 1 selbst zu einem Foto mit Verstappen im Rampenlicht.

Wiederholt sich Red-Bull-Geschichte? Im Gegensatz zu Vettels Premierentitel wäre es Verstappens fünfter nacheinander. Das gelang bisher nur einem: Rekordchampion Michael Schumacher Anfang der 2000er mit Ferrari. 

Möglich gemacht hat den hollywoodreifen Showdown aber vor allem McLaren, das jetzt vor einem großen Dilemma steht. Aufgabe der Papaya-Regeln, denen zufolge keiner der beiden Fahrer bevorzugt wird und es keine Nummer eins gibt? Oder Piastri im letzten der 24 Rennen zum Helfer degradieren? «Max ist da und Max macht keine Scherze. Lando braucht die Hilfe seines Teamkollegen», betont der ehemalige Formel-1-Pilot Ralf Schumacher als Sky-Experte.

Red Bull und Mercedes im Clinch: «Wie kann man so hirnlos sein?»

Denn klar ist auch, dass nicht nur Verstappen eine Gefahr ist, wenn es um jeden einzelnen Punkt geht. In Katar schob sich Sainz noch vor Norris. Und wenige hundert Meter fehlten, dass auch Kimi Antonelli als Vierter vor dem WM-Spitzenreiter ins Ziel gekommen wäre.

Dass Antonelli sich einen Fehler leistete und Norris doch noch vorbeiziehen konnte, sorgte im Lager von Red Bull bei Motorsportberater Helmut Marko für die ihm auch eigene Aufgeregtheit. «Er hat ihn vorbeigewunken. Das war mehr als deutlich», polterte der 82-Jährige. «Das ist wirklich absoluter Blödsinn. Wie kann man so hirnlos sein, so etwas zu sagen?», konterte Mercedes-Teamchef Toto Wolff.

Der Stressfaktor wird beim Finale in Abu Dhabi seinen Höhepunkt erreichen. 2021 begann dort die Ära Verstappen. Dass er nun noch mal im WM-Kampf mittendrin ist, daran war im Sommer nicht zu denken. Aber wie sagte McLaren-Boss Zak Brown jüngst: «Er ist wie dieser Typ aus einem Horrorfilm, der gerade dann wieder auftaucht, wenn du denkst, jetzt ist er weg.» Darauf angesprochen meinte Verstappen in Anspielung auf die berühmte Horrorpuppe: «Er kann mich Chucky nennen.»