Nicht einmal 15 Monate liegen zwischen den Olympischen Spielen in Paris und dem WTT Champions Turnier in dieser Woche in Frankfurt am Main. Und doch ist in der Welt des Tischtennis nichts mehr so, wie es im Sommer 2024 noch war.

Die deutsche Legende Timo Boll hat ihre Karriere beendet. Der für viele beste Spieler aller Zeiten (Ma Long) tritt in diesem Monat ab. Der chinesische Olympiasieger Fan Zhendong spielt nur noch in der deutschen Bundesliga für den 1. FC Saarbrücken. Und so ist von allen Profis, die seit 2012 an der Spitze der Weltrangliste standen, nur noch einer bei internationalen Turnieren aktiv: Dimitrij Ovtcharov, 37 Jahre alt und sechsmaliger Medaillengewinner bei Olympischen Spielen. Der Letzte einer großen Generation.

Ans Aufhören denkt der deutsche Nationalspieler noch lange nicht. Obwohl er gerade in diesem Jahr «viel Zeit, viele Weltranglistenpunkte und einiges an Selbstvertrauen verloren hat», wie er sagt. Bei den Weltmeisterschaften im Mai musste Ovtcharov verletzt aufgeben. Bei der Team-EM im Oktober fehlte er, weil er nach der fälligen Halswirbel-Operation noch geschont wurde.

Jetzt gegen die Söhne früherer Gegner

Jetzt ist er aber wieder fit und bekommt gerade regelmäßig vor Augen gehalten, was es bedeutet, «in diesem Abschnitt meiner Karriere zu sein»: In Frankfurt startete Ovtcharov mit einem 3:0-Sieg gegen Andre Bertelsmeier in das Turnier. Das aktuell größte deutsche Talent ist 17 Jahre jünger als er.

Noch anekdotischer wurde es eine Woche zuvor beim WTT-Turnier in Montpellier, als Ovtcharov im Bus von der Trainingshalle zum Hotel mit dem aufstrebenden Südkoreaner Oh Junsung (19) zusammensaß. 

«Auf einmal sagt der zu mir: „Dima, du bist mein Idol. Ich habe alle deine großen Spiele gesehen. Nur wegen dir habe ich auch den Tomahawk-Aufschlag gespielt“», erzählt Ovtcharov. «Und ich habe ihm nur gesagt: Das ist ja toll. Ich habe schon tausendmal gegen deinen Papa gespielt. Jahrelang habe ich mir den Kopf zerbrochen, wie ich den schlagen kann.»

Ohs Vater heißt Oh Sangeun und gewann bei der WM 2005 die Bronzemedaille. «Nach dem Gespräch habe ich mir gedacht: Unglaublich, wie lange ich das schon mache», sagt Ovtcharov. 

 

In der Weltrangliste steht die frühere Nummer eins aktuell nur noch auf Platz 32. Sein Status hat sich verändert.

«Ich komme jetzt ein bisschen aus der Außenseiterrolle», sagt Ovtcharov. «An guten Tagen bin ich nach wie vor für alle gefährlich. Aber die große Herausforderung ist jetzt: In kleinen Schritten wieder unter die Top 20 und die Top 15 zu kommen. Mein Ziel ist, es noch einmal in die Top 10 zu schaffen.»

Wer Ovtcharov kennt, weiß, wie schwer ihm das fällt: in kleinen Schritten zu denken. Sehr ehrgeizig, sehr fordernd: So beschreibt ihn auch der deutsche Bundestrainer Jörg Roßkopf immer.

Das letzte große Ziel: Olympia 2028

Und es ist tatsächlich so: «Ich hatte in den letzten Monaten etwas zu kämpfen mit meiner neuen Situation», sagt Ovtcharov selbst. «Aber mittlerweile bin ich ganz im Reinen mit mir.»

Sein nächster Gegner in Frankfurt ist der Japaner Tomokazu Harimoto (Freitag, 12.35 Uhr/Dyn), der in der Weltrangliste auf Platz vier steht und in diesem Jahr schon drei WTT-Turniere gewonnen hat. «Früher bin ich in so ein Spiel gegangen und habe gedacht: Das muss ich ziehen», so Ovtcharov. «Jetzt sehe ich: Der Druck lastet auf ihm. Ich kann etwas freier an die Sache herangehen. Das ist ein angenehmes Gefühl.»

In gut zweieinhalb Jahren beginnen in Los Angeles die nächsten Olympischen Spiele – kurz vor Ovtcharovs 40. Geburtstag. «Wenn heute Olympia wäre, wäre ich gar nicht dabei. Weil andere aktuell klar vor mir stehen», sagt er. Aber bis 2028 sei noch viel Zeit: «Wenn ich einmal gesagt habe: Dieser Zyklus ist ein Anreiz, ich will nochmal alles geben – dann ziehe ich das auch bis zum letzten Tag durch!»