Als die erste Enttäuschung über die verpasste Gold-Krönung verflogen war, genossen Deutschlands Handballerinnen mit der Silbermedaille um den Hals ihren WM-Coup. Auch wenn das Wunder von Rotterdam durch die 20:23 (11:11)-Niederlage im Endspiel gegen die übermächtigen Norwegerinnen ausblieb, durften sich die DHB-Frauen am Ende eines sensationellen Turniers als Siegerinnen fühlen. «Diese Mannschaft ist Gold wert», befand Rückraumspielerin Xenia Smits.
Kurz nach dem Abpfiff war die Enttäuschung auch bei Bundestrainer Markus Gaugisch zunächst groß. «Für die Leistung, die wir gebracht haben, hätte ich den Spielerinnen den Lohn gegönnt. Wir haben alles auf der Platte gelassen und eine Mannschaft, die lebt», sagte der 51-Jährige und ergänzte: «Jetzt ist die Zeit, um auch mal etwas traurig zu sein. Dann geht der Blick nach vorn und es kommt die Zeit, stolz zu sein.» Bei der Siegerehrung konnten seine Spielerinnen schon wieder lachen.
Jeweils vier Treffer von Emily Vogel, Viola Leuchter und Alina Grijseels reichten vor rund 8.500 Zuschauern nicht aus, um die DHB-Frauen zum zweiten gesamtdeutschen Titel nach 1993 zu führen. Dennoch bedeutet die Silbermedaille den größten Erfolg des deutschen Frauenhandballs seit mehr als drei Jahrzehnten – und der wird mit einer DHB-Rekordprämie von insgesamt 300.000 Euro belohnt. «Ich bin unheimlich stolz auf diese Mannschaft», lobte DHB-Sportvorstand Ingo Meckes.
Norwegens Triple: Titel bei Olympia, EM und WM
Die Norwegerinnen mussten bis in die Schlussphase zittern, untermauerten am Ende aber einmal mehr ihren Status als nahezu unantastbare Übermannschaft im Welthandball. Nach Olympia-Gold und dem EM-Titel im Vorjahr ist der WM-Triumph bereits der dritte Erfolg bei einem Großturnier in Serie.
Insgesamt feierte das Star-Ensemble um die zweimalige Welthandballerin Henny Reistad damit schon den sechsten Titel innerhalb der vergangenen fünf Jahre. Zuvor hatte Titelverteidiger Frankreich mit einem 33:31-Sieg nach Verlängerung über Co-Gastgeber Niederlande Bronze gewonnen.
«Wir haben heute einen überragenden defensiven Fight geliefert. Es war knapp», resümierte Gaugisch und kündigte an: «Alle, die dabei waren, haben Bock, öfter in so eine Situation zu kommen.» Und Smits befand: «Das Ergebnis zeigt, was wir geleistet haben. Es haben nur Kleinigkeiten gefehlt.»
«Ergebnis ein Boost für die ganze Bewegung»
Für Deutschlands Handballerinnen war die WM nicht nur aus sportlicher Sicht ein Riesenerfolg. Die Vorrunden- und Hauptrundenspiele vor Heimpublikum in Stuttgart und Dortmund sollten genutzt werden, um die Sichtbarkeit und Wertigkeit des Frauenhandballs nachhaltig zu steigern und Mädchen für Handball zu begeistern. «Das sportliche Ergebnis ist ein Boost für die ganze Bewegung», resümierte DHB-Sportvorstand Ingo Meckes schon vor dem Anpfiff.
DHB-Präsident Andreas Michelmann sprach von Erwartungen, die übererfüllt worden seien. Rückraumspielerin Vogel, die wie Kapitänin Antje Döll ins All-Star-Team gewählt wurde, betonte, dass Erfolg die größte Strahlkraft habe. Dazu gehörte auch die Ehrung von Leuchter als beste Nachwuchsspielerin der WM. Vieles spricht dafür, dass diese Silbermedaille keine Momentaufnahme ist – wie etwa die Altersstruktur des Teams, das in nahezu identischer Besetzung noch viele Jahre zusammenspielen könnte.
Hoffnung aufs «Weihnachtswunder» lebt lange
Die deutsche Auswahl bereitete Norwegen so große Probleme wie kein anderes Team im Turnier. Die Abwehr war hellwach und klaute immer wieder Bälle. Dass es nach 15 Minuten trotzdem nur 8:7 stand, lag auch an Rechtsaußen Jenny Behrend, die einige Chancen vergab. Norwegens 45 Jahre alte Rekord-Nationalspielerin Katrine Lunde entschied das Torhüterinnen-Duell klar für sich. Katharina Filter verbuchte erst in der 13. Minute ihre erste Parade.
Weil Norwegen sich aber ungewohnt viele Fehler leistete, lag Deutschland bis zur Pause fast durchweg in Führung – teilweise sogar mit drei Toren. «Was für eine erste Halbzeit. Was die Mädels abreißen, ist Wahnsinn. So müssen wir weitermachen. Ich glaube an das Weihnachtswunder», sagte Teammanagerin Anja Althaus in der Halbzeit am ARD-Mikrofon.
Deutschland trifft kaum noch
Die gesamte deutsche Bank spürte, dass gegen die Übermannschaft aus Norwegen an diesem Tag etwas geht. Mit zunehmender Spielzeit tat sich der Außenseiter im Angriff aber immer schwerer. Zwischen der 20. und 35. Minute erzielte die DHB-Riege gerade einmal drei Tore – und Norwegen ging erstmals mit drei Toren in Führung (15:12).
Im Stile einer Spitzenmannschaft ließ Deutschland den Favoriten nicht davonziehen und glich in der 47. Minute noch einmal zum 17:17 aus. Die DHB-Riege kämpfte unermüdlich und die deutschen Fans rasteten auf der Tribüne aus.
Das Finale entwickelte sich zu einer Abwehrschlacht, sechs Minuten vor Spielende führte Norwegen nur mit einem Tor (20:19). Doch auch eine Siebenmeterparade von Filter reichte nicht mehr, um den Gold-Traum wahr werden zu lassen.
