Für Boris Becker ist Tatjana Maria schon jetzt die «Tennis-Sensation des Jahres». Der frühere Australian-Open-Finalist Rainer Schüttler hält für sie in Wimbledon den ganz großen Coup zumindest nicht für ausgeschlossen. Mit fast 38 Jahren, als zweifache Mutter und mit einem von Steffi Graf inspiriertem Stil – so hat sich Maria vor dem populären Tennisturnier in den Fokus und die Rolle einer Geheimfavoritin katapultiert.
Bis vor rund zwei Wochen schien es abwegig, dass eine Deutsche in Wimbledon für Furore sorgt. Aber dann: Maria? Warum eigentlich nicht?
Maria schrieb schon einmal ein Tennis-Märchen in Wimbledon
«Ich sage, es ist nicht unmöglich, dass eine Tatjana im Finale in Wimbledon ist. Sie hat im Halbfinale gestanden. Also warum soll es nicht möglich sein, nach so einem Sieg jetzt mit so einem Selbstvertrauen?», sagte Schüttler, der Auswahlcoach der deutschen Tennis-Damen, der Deutschen Presse-Agentur.
Was in Erinnerung bleibt und worauf sich Schüttler bezieht, ist Marias sensationeller Lauf bis ins Wimbledon-Halbfinale vor drei Jahren. Doch was den Blick auf die Schwäbin zuletzt radikal gewandelt hat, ist ihr Auftritt im Queen’s Club. Dort passierte das, was für Becker «die Tennis-Sensation des Jahres» ist.
Wenige Kilometer entfernt von den Wimbledon-Plätzen kegelte die Schwäbin eine Favoritin nach der anderen raus. Sie marschierte aus der Qualifikation bis ins Finale und kürte sich zur ältesten Siegerin eines WTA-500er-Events.
In Wimbledon hat es die Auslosung allerdings nicht gut mit ihr gemeint. Die Weltranglisten-45. beginnt gegen Katie Volynets aus den USA. Dann droht aber das Duell mit der amerikanischen Nummer drei der Welt, Jessica Pegula.
Schon früh muss Maria damit einen Coup schaffen. Dass sie das kann, hat sie bewiesen. Ihr in Queens gewonnener Optimismus verschwand nicht, als sie in Bad Homburg mit einer Erstrunden-Niederlage ein Stück weit in die Realität zurückgeholt wurde. «Ich meine», sagte die 37-Jährige und pausierte: «Ich bin die Queen. Und das kann mir auch keiner nehmen.» Als «Queen of Queens» hatte sie sich getauft – und dies als Gruß auf eine Kameralinse geschrieben.
Becker lobt Maria als «Chefin» auf dem Platz
Zu Rasen passt ihr unkonventioneller Stil perfekt. Sie spielt nicht nur auf der Rückhand Slice, wie sie es sich einst von Graf im Fernsehen abgeschaut hat. Sie spielt – völlig unüblich – auch auf der Vorhand den unterschnittenen Schlag.
Das ist auf Rasen unangenehmer als auf Sand, der Ball springt flacher ab. In Queens trieb sie eine Gegnerin nach der anderen in die Verzweiflung. Vier Top-20-Spielerinnen fanden keine Mittel.
«Die heutigen Spielerinnen spielen sehr gern mit dem Druck der Gegnerinnen. Tatjana gibt keinen Druck, das muss alles von dir kommen. Das sind die jungen Spielerinnen nicht gewöhnt», sagte Becker. Maria habe Selbstvertrauen gezeigt: «Du musst überzeugt sein von deinem Spiel und das dem Gegner demonstrieren, dass du die Chefin bist. Das spürt man auf Rasen sofort.»
Aufgeben kommt für Maria nicht infrage. Neunmal hatte sie in dieser Saison in der ersten Runde verloren. Andere geraten durch so eine Serie weiter in einen Negativstrudel, sie gewinnt den Titel. Auch 2024 fragte man sich oft, was ist eigentlich mit Maria los? Weil sie oft verlor.
Familien-Trubel kombiniert mit Tennis für Schüttler «verrückt»
«Die letzten Jahre wurde ich so ein bisschen abgeschrieben. Das tat mir dann persönlich gut, dass ich das geschafft habe», sagte Maria. «Für mich und meine Familie war immer dieser Glaube da, dass ich was Großes leisten kann.»
Mit ihren Töchtern und ihrem Mann, zugleich ihr Coach, reist sie um die Welt. Man sieht sie schon mal nicht lange vor einem ihrer Matches den Kinderwagen mit Cecilia (4) über die Anlage schieben. Ihr und Charlotte (11), selbst ein großes Talent, ein Vorbild zu sein, treibe sie an, sagte Schüttler.
«Die Kinder sind immer mit. Mit Schule und allem Drum und Dran – ist ja verrückt, wenn ich mir das jetzt so vorstellen würde, aber es ist toll». Für eine Wimbledon-Erfolgsserie, so Schüttler, müsse aber eben auch alles passen.