Die erkaltete Lavakruste knirscht unter den Wanderschuhen, als schreite man durch leicht angefrorenen Schnee. Stinkende Schwefelschwaden hüllen die skurrile, pechschwarze Landschaft in eine geheimnisvolle Atmosphäre. Aus Spalten und Ritzen des Lavagesteins steigt warmer, manchmal kochend heißer Dampf. Erst vor zweieinhalb Jahren ergoss sich an dieser Stelle am Fagradalsfjall im Süden Islands ein flüssiger Lavastrom, der sich kilometerlang durchs Tal von Geldingadalir fraß.
Die meisten Touristen gehen nur vom Parkplatz auf einem schmalen Pfad durch die moosbewachsenen Hügel bis an den Rand des Lavafelds. Doch wer sich auf den verschiedenen Wanderrouten oder übers Lavafeld selbst zu den jüngsten Eruptionsspalten aufmacht, begibt sich in eine Landschaft, die unweigerlich an Tolkiens Mordor aus «Der Herr der Ringe» erinnert.
Sie sieht aus wie ein erstarrter, schwarzer Fluss. Die Oberfläche ist mal zerfurcht und porös, mal glatt wie Glas. Mal schimmert sie blau, dann wieder rostrot oder matt wie Kohle. Ein unwirklicher Ort und je mehr man sich hineinwagt, desto einsamer und stiller wird es. Irgendwann ist nur noch der eiskalte arktische Wind zu hören.
Autobahn für Magmaeruptionen
Der Fagradalsfjall ist kein einzelner Vulkanberg, sondern ein vulkanischer Komplex von mehreren Kratern, kleinen Bergen und tektonischen Rissen, aus denen auf der Reykjanes-Halbinsel immer wieder Magma aufsteigt. Island ist das größte und aktivste Vulkangebiet Europas. Vielen dürfte der Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull im Jahr 2010 in Erinnerung sein, als die dadurch entstandenen Aschewolken den Flugverkehr in ganz Europa weitgehend zum Erliegen brachten.
Der Grund: Die Reykjanes-Halbinsel befindet sich in einer Region im Nordatlantik, in der die eurasische und die nordamerikanische Platte langsam auseinanderdriften. Es sind nur 25 Millimeter pro Jahr. Also so viel, wie ein menschlicher Fingernagel wächst. Doch diese Plattenbewegungen lassen flüssiges Magma aus großer Tiefe an die Oberfläche dringen. «Es ist quasi eine Art Autobahn für Magmabewegungen», sagt Matthew Roberts vom Isländischen Meteorologischen Institut (IMO).
So kommt es periodisch immer wieder zu vulkanischer und seismischer Aktivität. Die letzte Phase war vor etwa 800 Jahren. «Seit 2021 dehnt sich das Magma wieder aus. Seitdem hatten wir hier bereits zwölf Ausbrüche», zeigt Roberts Statistiken im IMO-Institut in Reykjavik, das für die geologische Überwachung der Region zuständig ist.
Das Schöne für Urlauber: Bei den sogenannten Spalteneruptionen gibt es keine gewaltigen Kraterexplosionen mit großen Asche-Emissionen. Die langsam austretenden Lavaströme können also aus gewisser Nähe relativ gefahrlos beobachtet werden. Wer nicht zur richtigen Zeit da ist, kann zumindest in Reykjavik und Vík interessante Lava-Shows sehen, bei denen mit echter Lava in speziell gebauten Showrooms ein Vulkanausbruch simuliert wird.
Am Geysir der Geysire
Neben alten Vulkankratern wie dem Kerid befinden sich hier im «aufgeheizten» Südwesten Islands sich auch die beeindruckendsten geothermischen Highlights. Allen voran der Strokkur-Geysir, der alle 10 Minuten heiße Wasserfontänen von bis zu 20 Metern ausspuckt. Im Haukadalur-Geothermalgebiet liegt auch der «Geysir», der älteste dokumentierte Geysir der Welt, der Namensgeber aller Geysire. Ein Naturschauspiel.
Deshalb wimmelt es direkt auf der touristischen «Golden Circle»-Route auch nur so von Menschen. Die lohnenswerten Thermalbäder wie die Blaue Lagune sind ebenfalls meistens ziemlich überfüllt. Doch nur wenige Kilometer entfernt lässt sich das gleiche geothermische Erlebnis in Abgeschiedenheit finden.
Im «Tal des Dampfes»
Wer das Baden in Islands heißen Naturquelle einsamer genießen möchte, sollte eine Wanderung ins Reykjadalur Valley machen, in das «Tal des Dampfes». Schwefelgeruch mischt sich mit dem Duft nach Gräsern und Kräutern. Überall qualmt und brodelt es aus kleinen Erdlöchern. Wir tauchen ein in eine grüne Hügellandschaft. Blicke in tiefe Schluchten mit Wasserfällen lassen einen immer wieder anhalten.
Nach einer Stunde führt der Weg am Ufer eines Wildbachs bis zu einem langen Holzsteg. Vorsichtig tauchen Wanderer ihre Füße in den dampfenden Bach, um die Temperatur zu testen, bevor sie sich im kniehohen Wasser mit traumhaften Ausblicken auf die Berglandschaft wärmen.
Auf der berühmten Ringstraße geht es weiter zu den spektakulärsten Wasserfällen in der Region. Schon von der Straße aus kann man den aus 60 Metern Höhe von einer moosbewachsenen Klippe stürzenden Seljalandsfoss sehen. Doch es lohnt sich. Ein feuchter Pfad führt im Sprühnebel hinter dem Wasserfall entlang.
«Thors» Wasserfall
Nur wenige Minuten weiter donnern die Wassermassen des Gljúfrabúi in die Tiefe. Er ist zwar kleiner, dafür aber weniger überlaufen. Auch den Kvernufoss können Wanderer vor allem morgens fast ganz für sich alleine haben. Weiter östlich wartet ein ganz anderes Abenteuer.
Richtig einsam wird es am Rande des Skaftafell Nationalparks. Einar Sigurður Jónsson gibt jedem Gast für die Quad Bike Tour Helme, dicke Handschuhe und gut isolierte Overalls. Schnell begreift man, dass die wasserfesten Anzüge nicht nur für die Kälte sind, sondern vor allem für die Gletscherbäche, die wir auf dem Ausflug immer wieder durchkreuzen. Einar fährt vor, seine Frau Eyrún schließt die Gruppe ab.
Wo Hollywood drehte
Erst im Sommer hat das junge Ehepaar aus dem nahen Dorf Freysnes ihr Unternehmen «Skaftafell Adventure» gegründet. Eyrúns Vater Ragnar gehörte früher ein Großteil der Landschaft an den Gletscherzungen, bevor er es der Regierung verkaufte, die hier den Nationalpark ins Leben rief. Die Gletscher dienten sogar als Filmsets für Hollywood-Streiten wie Interstellar und Batman Begins. Einar und Eyrún kennen das Gebiet wie ihre Westtaschen und erzählen vom nicht immer einfachen Leben in dieser rauen Naturschönheit.
Es geht durch Moränenfelder, trockene Gletscher-Flussbecken und Hügellandschaften aus pechschwarzen Lava-Sand. Von der historischen Holzbrücke Skeiðarárbrú hat man beeindruckende Blicke auf die umliegende Landschaft. Im Hintergrund glitzern majestätisch in der Sonne die Gletscher des Svinafellsjökull.
Europas größter Gletscher
Der Nationalpark ist Teil des Vatnajökull, des größten Gletschers Europas außerhalb der Polargebiete. Mit rund 7.900 km² bedeckt er fast 8 Prozent der gesamten Insel. An einem seiner bekanntesten Gletscherseen, dem Jökulsárlón, herrscht mal wieder ordentlich Betrieb. Bootstouren bringen Touristen nah an die Gletscherwand. Wo jedoch schon James Bond und Lara Croft in Tomb Raider gegen die Bösen der Welt kämpften, wärmen sich heute nur Robben auf Eisschollen in der Sonne. Andere Gletscherseen wie der Fjallsárlón oder der Heinabergslón im Osten des Parks sind aber deutlich ruhiger und nicht minder schön.
Eislandschaften aus Game of Thrones
Wer die aus Game of Thrones bekannte Gletscherwelt des Vatnajökull-Nationalparks einsamer und abenteuerlicher erleben möchte, sollte sich Spikes unter die Wanderschuhe schnallen und auf dem Sólheimajökull bei Eisklettertouren oder Wanderungen tiefer in die Welt aus Eis eintauchen.
Im Jeep bringt uns Guillermo Miguel Martínez an den Rand des Gletschers östlich der Jökulsárlón-Lagune. Wir ziehen uns die Steigeisen und Helme an und gehen die Gletscherzunge empor. «An manchen Stellen ist die Eisdecke über 900 Meter dick», erklärt unser Guide.
Blaue Eis und grüner Himmel
Die Luft ist kristallklar und frostig. Das Eis knirscht unter den Spikes. Mit Leinen lassen wir uns immer wieder in Eisspalten hinunter. Nach einer Stunde erreichen wir am Rand des Gletschers eine gewaltige Eishöhle. Mal kann man stehen, dann muss man wieder gebückt kriechen. Das Eis leuchtet himmelblau. Hier schlägt das kalte Herz Islands.
Nach sechs Stunden sind wir zurück am schwarzen Strand von Reynisfjara bei Vík und genießen auf der Terrasse des Holzbungalows der Mio-Hvoll Cottages die Ruhe – und natürlich auch die Polarlichter.
Links, Tipps, Praktisches:
Anreise: Lufthansa und Icelandair bieten von Deutschland Direktflüge nach Reykjavik an.
Zur Einreise braucht es einen gültigen Reisepass oder Personalausweis.
Die beste Reisezeit für Eis-Aktivitäten ist vom November bis März.
Informationen über Veranstalter, Unterkünfte, Restaurants und Regionen bei den Fremdenverkehrsämtern unter www.visiticeland.com/de, www.south.is und www.visitreykjanes.is.
