Während die Bundesregierung noch darüber streitet, wie eine Reform des Wehrdienstes aussehen könnte, schaffen zahlreiche junge Menschen Tatsachen – und stellen vorsorglich Anträge auf Kriegsdienstverweigerung (KDV). Darauf lassen Zahlen der Bundeswehr schließen. 

Bei ihr sind allein in diesem Jahr bis Ende August mehr als 3.200 solcher Anträge eingegangen. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2021 – also vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs – gingen dort 200 KDV-Anträge ein. Seitdem steigt die Zahl von Jahr zu Jahr stetig an.

Zwar ist die Wehrpflicht seit dem Jahr 2011 bis heute ausgesetzt. Sollte es aber tatsächlich zum Spannungs- oder Verteidigungsfall kommen, würde sie automatisch wieder aufleben. So sieht es das Gesetz vor.

Vor der Bewilligung steht die Musterung

Ist es für Männer im wehrpflichtigen Alter, die nicht zur Waffe greifen wollen, vor diesem Hintergrund also tatsächlich sinnvoll, jetzt vorsorglich den bewaffneten Kriegsdienst zu verweigern? Kathrin Groh, Professorin für Öffentliches Recht an der Universität der Bundeswehr München, hält das im Diskussionsforum «Verfassungsblog» zumindest für «taktisch klug». Denn unter den «bislang unverändert geltenden, großzügigen rechtlichen Bedingungen» könnte es einfacher sein, einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung bewilligt zu bekommen.

Mit einer Kriegsdienstverweigerung haben wehrpflichtige Menschen – derzeit Männer zwischen 18 und 60 Jahren – in Deutschland die Möglichkeit, einen bewaffneten Wehrdienst zu verweigern. Wer es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren könnte, im Kriegsfall selbst zu töten oder einen Beitrag zum Töten zu leisten, der kann einen schriftlichen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung beim Karrierecenter der Bundeswehr einreichen – unter Darlegung der Beweggründe und eines Lebenslaufs. 

Nach Feststellung der gesundheitlichen Eignung (also erst nach erfolgreich bestandener Musterung) leitet die Bundeswehr den Antrag an das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) weiter, das dann über den Antrag entscheidet.

Kriegsdienstverweigerung ist ein Grundrecht

Zwar ist das Recht auf Kriegsdienstverweigerung im Grundgesetz verankert und kann Kathrin Groh zufolge daher auch in einem möglichen Ausnahmezustand nicht einfach ausgesetzt werden. Die Juristin gibt aber zu Bedenken, dass es gerade in Krisenzeiten passieren könnte, dass die Kriterien für die Bewilligung einer Kriegsdienstverweigerung deutlich verschärft werden – also strenger geprüft wird, wer aus welchem Grund nicht zur Waffe greifen möchte. 

Um eine Chance auf Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung zu bekommen, muss sich der schriftliche Antrag auf das Grundrecht zur Verweigerung im Sinne des Artikels 4 Absatz 3 Satz 1 berufen, teilt ein Sprecher des BAFzA mit. 

Der Antrag muss selbst verfasst sein

Antragstellerinnen und Antragsteller müssen ihre Beweggründe darin persönlich und ausführlich darlegen. Das setze voraus, dass der Text selbstständig verfasst und nicht auf vorgefertigte Formulierungen und Muster – «etwa aus Datenbanken oder mittels künstlicher Intelligenz generiert» – zurückgegriffen wurde. 

Die Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) warnt auch vor der Nutzung kommerzieller Hilfsangebote im Netz und berichtet von zahlreichen Klagen über abgelehnte KDV-Anträge nach Nutzung der Anleitungen auf solchen Webseiten. 

Der Antrag kann die Musterung auslösen

Was potenziell Wehrpflichtigen aber klar sein sollte, die vorausschauend einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellen und bislang nicht zur Musterung einberufen wurden: Das kann ein solches Prozedere überhaupt erst auslösen. Denn ohne einen positiven Musterungsbescheid kann auch der Antrag auf Kriegsdienstverweigerung nicht bearbeitet werden. Und das möchte Kathrin Groh zufolge womöglich nicht jeder: ohne derzeit dringende Not bereits als tauglich im System gespeichert sein.

Am 10. November soll die nächste Anhörung zum Wehrdienstgesetz im Verteidigungsausschuss des Bundestages stattdfinden.