Der Gegenwind nahe der Elbe bremste Gina Lückenkemper beträchtlich. Der Auftritt der deutschen Sprinterinnen bei den deutschen Meisterschaften in Dresden gibt ihrem Empfinden nach aber Rückenwind für die WM. Der alten und neuen deutschen Meisterin genügten zum vierten 100-Meter-Titel in Serie bei ungünstigen Bedingungen 11,17 Sekunden. 

Das ist im internationalen Maßstab bescheiden. Bei den US-Trials für die Weltmeisterschaften vom 13. bis 21. September in Tokio rannte Melissa Jefferson-Wooden in 10,65 Sekunden zum Titel. Deswegen sagte Lückenkemper nach ihren drei Rennen am Samstag auch: «Das war hier der ernstzunehmende Formcheck für die WM. Es war so ärgerlich, dass alle Läufe mit Gegenwind waren.»

Die Zeit könnte es ihr sogar schwerer machen, in den kommenden Wochen noch zu hochklassigen Leichtathletik-Meetings eingeladen zu werden. Den Feinschliff holt sich die 28-Jährige, die sonst in den USA trainiert, dann in Amsterdam. Dort hat sich ihre Trainingsgruppe momentan versammelt.

Lückenkemper: «Nicht mehr allein auf weiter Flur»

Über den Erfolg vor gut 10.000 begeistert mitgehenden und fachkundigen Zuschauern freute sich Lückenkemper dennoch, weil sie die deutsche Spitze breit aufgestellt sieht. «Ich bin eben nicht mehr allein auf weiter Flur, und von daher ist das kein Titel gewesen, der selbstverständlich ist», stellte sie fest.

Fraglich bleibt, ob sich die Doppel-Europameisterin von München 2022 Mitte September in Tokio endlich ihren Traum von einem Einzelfinale bei einer WM oder Olympia erfüllen kann. Was andere Leute von ihr denken oder erwarten würden, sei ihr egal, betonte Lückenkemper.

Immerhin hat sie mit der Staffel Bronze bei der WM 2022 in den USA und im vorigen Jahr bei Olympia in Paris gewonnen. Für die anstehenden Weltmeisterschaften traut sie dem deutschen Team wieder etwas zu. «Wir haben das in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt, dass diese Frauen-Staffel was auf dem Kasten hat», sagte sie.

Wieder um eine Medaille mitlaufen

Sophia Junk als Zweite in 11,33 Sekunden und die drittplatzierte Sina Mayer (11,37) liefen den etablierten Rebekka Haase (11,40) und Alexandra Burghardt (11,41) im Finale den Rang ab. Viel Auswahl zu haben, sieht Lückenkemper als Luxusproblem, zumal der Zusammenhalt im Team stimme. 

Unmittelbar vor dem Lauf hätte sich alle noch einmal gegenseitig die Faust gegeben und sich Glück und Erfolg gewünscht, sagte sie. «Jetzt auf Holz klopfen, dass alle gesund bleiben, dass wir dann ein super starkes Team in Tokio auf der Bahn haben, mit dem wir konkurrenzfähig sind und um die Medaillen mitlaufen können.»

Ansah spürt den Druck und bleibt Meister

Deutlich zurückhaltender klang Owen Ansah nach seiner erfolgreichen Titelverteidigung über 100 Meter. Ein Jahr nach seiner Sternstunde in Braunschweig, als Ansah in 9,99 Sekunden als erster deutscher Sprinter unter zehn Sekunden blieb, reichten 10,23 Sekunden zum erneuten Sieg – ebenfalls bei Gegenwind. Dahinter landeten Deniz Almaz (10,25) und Ansahs HSV-Kollege Lucas Ansah-Peprah (10,27). US-Meister Kenny Bednarek rannte in Eugene 9,79 Sekunden, Weltjahresbester ist der Jamaikaner Kishane Thompson in 9,75 Sekunden.

Ansah will zwar auch Rückenwind aus Dresden mitnehmen, der 24-Jährige räumte aber gestiegene Erwartungen ein. «Das ist schon ein kleiner Druck, den man hat und den man sich auch selber macht», sagte er. In den nächsten Wettkämpfen soll es schneller werden – und das muss es auch.

Eine Handvoll Hoffnungen für die WM

Die deutschen Hoffnungen für die WM tragen sowieso andere – etwa Speerwerfer Julian Weber. Der Mainzer wurde mit 84,36 Metern souverän deutscher Meister. Die Olympia-Vierte Marike Steinacker schleuderte den Diskus auf 65,56 Meter. Zehnkampf-Star Leo Neugebauer testete nur in einzelnen Disziplinen. Von einer möglichen Medaille mochte er – anders als Lückenkemper – wie gewohnt nicht sprechen.