Mein Handy hat eine hübsche Hülle und Blümchen auf dem Sperrbildschirm. Und es ist ein grässlicher Zeitfresser. Der Tag ist noch jung, aber 97 Minuten habe ich schon darauf gestarrt. Wie viele davon waren wirklich wichtig?Nachrichten sind relevant. Aber ist auf fünf Plattformen querzulesen schon Doomscrolling? Komische Katzenvideos bei YouTube oder Blitzrezepte auf Tiktok mögen überflüssig sein, aber Offline-Beziehungen kriseln in einer Online-Welt, und Gegenwehr ist anstrengend, denn das Internet in der Hosentasche macht süchtig.

Das Smartphone hat die Welt erobert – aber die Amischen von Lancaster County leisten tapfer Widerstand. Mit grünen Hügeln, Bilderbuchbauernhöfen und gedeckten Brücken ist der idyllische Landkreis in Pennsylvania die Heimat der ältesten (gegründet 1729/1730) und größten Amisch-Gemeinde (rund 45.000 Mitglieder) in den Vereinigten Staaten. 

Die konservative Glaubensgemeinschaft misstraut neuen Technologien vom Auto bis zu Zoom. Wo auch Mobiltelefone nicht zum Alltag gehören, gelingt es Outsidern vielleicht leichter abzuschalten? Womöglich leichter als bei konstruierten Digital-Detox-Angeboten mancher Wellness-Farm?

Gedacht, getan, gebucht: Wobei gleich die Buchung eine Überraschung birgt. Denn das Bed and Breakfast in «Amish-Country» lässt sich online reservieren.

Alles in «Ordnung» 

Später am Boden will ich es abschalten, aber auf dem Hinflug zum nächstgelegenen Airport in Philadelphia, lese ich mich auf dem Handy zum Thema Amische noch ein: Aus der radikalen Täuferbewegung der Reformation entstanden, trennte sich die Gruppe um Gründervater Jakob Ammann 1693 vom Hauptstrang der Anabaptisten, den Mennoniten. Die waren dem Deutschschweizer nicht streng genug.

Was entstand, war die «Ordnung». So heißt die aus der Bibel abgeleitete Sammlung von meist ungeschriebenen Verhaltensregeln wie freiwilliger Erwachsenentaufe und einem bescheidenen Lebenswandel mit bewusster Abgrenzung zur Mehrheitsgesellschaft.

In Mitteleuropa verfolgt, retteten sich die Amischen Anfang des 18. Jahrhunderts nach Pennsylvania. Hier lebt mit 90.000 Gläubigen auch heute noch ein Großteil der Gemeinschaft. In ganz Nordamerika sind es etwa viermal so viele. Dabei sind sie keine homogene Gruppe mehr. Zumindest zwei Hauptströmungen gibt es. 

Zum einen die gemäßigten «New Order»-Amischen, die moderne Elemente in ihren Alltag integrieren. Die «Old Order»-Amischen sind konservativer. Sie lehnen Elektrizität weitgehend ab. Und sie sprechen «Pennsylvania Dutch», eine Sprache, die auf dem Ostpfälzischen basiert.

Kleines Problem bei der Anfahrt nach Gordonville, wo ich mich für drei Tage eingemietet habe: Weil mein Smartphone aus ist, wäre mein Quartier im Gewirr der Landstraßen schwer zu orten – zumindest ohne Straßenkarte, die auch zu meinem Standardgepäck längst nicht mehr gehört. Immerhin tut’s das Navi im Mietwagen als Notnagel. 

Strom nur für die Gäste

«Kansht du Deitsch shvetza?», fragt Anna Riehl bei meiner Ankunft im Bed and Breakfast. Deutsch ja, aber die antiquierte Mundart ist kaum zu verstehen. Darum plaudert die Gastgeberin auf Englisch weiter. In siebter Generation gehöre ihrer Familie die «Beacon Hollow Farm» in Gordonville. 

Riehls Privathaus ist «Ordnungs»-gemäß nicht ans Stromnetz angeschlossen. Aber den Gästen macht man Zugeständnisse: Im Ferien-Cottage lässt sich das Licht anschalten. In der Wohnküche wartet eine Kaffeemaschine auf Einsatz, im holzvertäfelten Schlafzimmer ein Ventilator, aber auch handgenähte Quilt-Bettdecken. Sogar Waschmaschine und Gefriertruhe sichte ich. Eine Gefriertruhe?

Oft als Relikt bestaunt oder belächelt, leben die Amischen nicht jenseits von Raum und Zeit. Mutter Riehl trägt ein schlichtes wadenlanges Kleid, oft mit Schürze, immer mit weißem Häubchen über dem Haardutt, und Ehemann Ben einen rauschenden Kinnbart, Strohhut und schwarze Hosen mit Trägern. Statt Pkw fahren die Riehls Pferdekutschen oder Tretroller mit Lenkerkörbchen.

Allein optisch entsprechen sie damit der landläufigen Vorstellung. Doch wenn es mal schnell gehen muss, werden «englische» Nachbarn, wie alle Nicht-Wiedertäufer pauschal genannt werden, zum Fahrdienst angeheuert.

Retro-futuristischer Mischmasch

Amische verteufeln weder Neuerungen pauschal noch sind sie technisch unversiert. Die auferlegten Restriktionen machen erfinderisch, die Ordnung lässt offenbar Umwege zu: Glaubensbruder und Autodidakt Aaron Blank rüstet moderne Landmaschinen so um, dass auch Pferde sie ziehen können. Werkzeug-Akkus füttern Zimmerlampen. Und was eigentlich spricht gegen LED-Lichter an der Kutsche? 

Doch den Errungenschaften des Mobilfunks verweigern sich die Riehls. Das Signal reicht zwar bis zur Farm, doch Handys haben sie nicht – aber ein tragbares Festnetztelefon. Gäste hingegen dürfen ihre Smartphones genauso benutzen wie den Lichtschalter.

Ich krame meins aus dem Koffer. Tatsächlich zeigt es zwei Balken Empfang. Echter Verzicht ist also gefragt, aber hier, in Amisch-Land, bin ich ja in vorbildlicher Gesellschaft. Ich verschließe das Gerät im Küchenschrank und fühle mich merkwürdig erleichtert. Was mache ich nun mit meiner befreiten Zeit?

In den Miet-Jeep klettern und eine Safari durch die Gegend machen zum Beispiel. Diesmal bin ich schlauer und nehme eine Landkarte von Lancaster County mit, die bei Riehls ausliegt. Dutzende von amischen Bauernhöfen sind als Attraktionen eingezeichnet, auch der von Jesse und Anna Ruth Lapp, den ich mir zum Ziel nehme.

Zur Heuwagenfahrt lädt die Familie auf ihre «Old Windmill Farm» in Ronks ein, zum Melken üben und Kälbchen-Tränken per Nuckelflasche. Solche Touren sind touristisch. Aber: Ich komme dabei mit den eher reservierten Gläubigen besser ins Gespräch.

Über Technologie wird abgestimmt

«Gefährlich» seien diese Handys, klagt Anna Ruth. Während der «Rumspringa»-Phase, wenn die Jugendlichen der elterlichen Autorität zwar entwachsen, aber ungetauft noch nicht den Kirchenregeln verpflichtet sind, kauften sich sogar ihre Teenager eins.

«Du wirst zu dem, was du siehst», habe sie gewarnt und das erste beim Nachwuchs bereits wieder einkassiert. Prompt wurde ein neues angeschafft. «Wir können nur lehren und predigen», seufzt Lapp und blickt himmelwärts. 

Als nötigen Zweiterwerb haben viele Amische ein Business neben dem Agrarbetrieb. Damit ähnelt ihr Konzept den bekannten «Ferien auf dem Bauernhof». Modernes Marketing ist erlaubt, abermals indirekt: Oft sind es «englische» Freunde und Firmen, die aushelfen. Darum kann man Riehls Ferienhaus im Internet finden. Lapps haben ein Farm-Blog, die Blanks eine simple Webseite und Nachbarin Leah Ruth Stoltzfus preist Wellness-Produkte sogar auf Facebook an. 

Ist das kein Widerspruch zur Ordnung? Zurück im Cottage würde ich gern mein Handy befragen, vielleicht ganz fix meine Apps checken, aber kurz vor dem Küchenschrank kriege ich die Kurve. Digitale Enthaltsamkeit braucht Disziplin, auch wenn die Voraussetzungen stimmen wie in Lancaster County. Ich hole tief Luft, setze mich auf die Veranda, schaue zu, wie die Sonne hinter Getreidesilos untergeht. 

Die Amischen ringen um Antworten

Am nächsten Tag habe ich einen Termin mit Steve Nolt. Er ist Professor für «Anabaptist and Pietist Studies» am Elizabethtown College in Lancaster County. Jedes Mitglied eines autonomen Kirchendistrikts, erklärt er mir, kann neue Technologien vorschlagen. Nach einer Praxis-Prüfungsphase stimmt die Gemeinde verbindlich über eine Einführung ab. Der Distrikt-Bischof hat Vetorecht.

Maßgeblich sei jedoch, «die Auswirkungen von Technologie auf menschliche Interaktion und soziale Organisation zu mildern», so Nolt. Damit thematisierten die Amischen auch für die Außenwelt relevante Fragen zum technologischen Determinismus: Kann der Mensch die Technologie überhaupt zähmen oder kontrolliert sie unser Schicksal?

Um eine Antwort ringen selbst die Amischen. Autos isolieren die Gläubigen räumlich und sozial voneinander und sind ebenso abzulehnen wie Fernseher mit ihren negativen weltlichen Einflüssen. Die verbreiten Smartphones zwar auch, sie dienen zugleich jedoch der Kommunikation – was erwünscht ist. 

Vater Blank aus Gordonville zuckt mit den Schultern. Das Smartphone seines 20-Jährigen erlaubt er nicht im Haus, duldet es aber außerhalb als eine Art Lehrobjekt. «Wir sind ja keine Heiligen, sondern ganz normale Leute wie ihr.»

Was habe ich gelernt? Erstaunlich, schon am zweiten Tag hat mir mein Handy höchstens zum Telefonieren noch gefehlt. Die Technologie scheint optional – aber wohl eher im Urlaub. Wer braucht schon ein Smartphone zur Zerstreuung, wenn es Neues zu entdecken gibt? Der Verzicht im Alltag scheint mir dagegen unrealistisch, wenn die digitale Nulldiät selbst den Amischen nicht gelingt.

Ich gehe zum Küchenschrank, hole mein Gerät heraus und gelobe vor der Abfahrt, wenigstens ab und an etwas Digital Detox in meinen Alltag zu lassen. So schön sind die Blümchen auf dem Sperrbildschirm nun auch wieder nicht.

Links, Tipps, Praktisches:

Reiseziel: Das ländliche Lancaster County liegt im Südosten des US-Bundesstaates Pennsylvania rund 100 Kilometer von Philadelphia entfernt.

Anreise: Direkte Flüge verbinden Frankfurt mit Philadelphias International Airport. Weiter mit dem Mietwagen.

Einreise: Deutsche Urlauber benötigen einen Reisepass und müssen unter https://esta.cbp.dhs.gov eine elektronische Einreiseerlaubnis einholen. Sie kostet 21 US-Dollar (ca. 18,50 Euro) und ist zwei Jahre lang gültig.

Klima und Reisezeit: Bei milden Temperaturen und relativ niedriger Luftfeuchtigkeit sind Frühling und Herbst die angenehmsten Reisezeiten. Die Zeitverschiebung beträgt in der Regel minus sechs Stunden. 

Unterkunft: Entlang Lancaster Countys Hauptverkehrsader Route 30 liegen die üblichen Kettenhotels und Motels in verschiedenen Preisklassen. Authentischer sind Bed and Breakfasts auf dem Bauernhof (amishfarmstay.com) bei amischen oder mennonitischen Familien.

Währung: 1 Euro ist 1,14 US-Dollar wert (Stand: 5.06.2025).

Weiterführende Informationen: discoverlancaster.com