Der Traum von finanzieller Unabhängigkeit ist für viele heute aktueller denn je. Auf Social Media-Plattformen liefern Influencer Tipps und Tricks, wie sich vermeintlich einfach ein passives Einkommen aufbauen lässt. Also ein regelmäßiges Einkommen aus cleveren Investments, das einen Arbeitslohn ersetzt. Und das ohne großen Aufwand.
Jeder 100. Mensch in Deutschland kann sich laut Statistischem Bundesamt den Traum finanzieller Unabhängigkeit tatsächlich erfüllen. Ein Prozent der Bevölkerung im Erwerbsalter lebte 2023 überwiegend vom eigenen Vermögen, Kapitalerträgen oder Einkünften aus Vermietung und Verpachtung.
Mit der richtigen Strategie kann sich jeder ein Vermögen aufbauen, das ein passives Einkommen ermöglicht. «Das ist letztendlich auch nur ein Vermögensstock, der laufende Erträge abwirft», sagt Stefan Adam, Gründer der Honorar-Finanzberatung Moneyman24. Typischerweise, so seine Definition, wird dieses Kapital dafür nicht angetastet. Es ist aber auch möglich, das Vermögen aufzubrauchen, um seinen Lebensunterhalt daraus zu bestreiten.
Eine Empfehlung von Adam: «Man sollte bestenfalls sofort anfangen, Geld beiseitezulegen, wenn man finanziell unabhängig werden möchte. Denn der lange Anlagehorizont hilft enorm dabei, das Ziel zu erreichen.»
Schritt 1: Für eine Strategie entscheiden
Tipps, mit welchen Mitteln sich ein passives Einkommen generieren lässt, gibt es in den Sozialen Netzwerken zuhauf. Es reicht vom Influencer-Beruf, der von vergüteten Links lebt, über Bestseller schreiben bis zum Verkauf von irgendwelchen Online-Produkten. Ob das wirklich klappt, da ist Timo Halbe aber skeptisch. Er ist Geldanlageexperte beim Verbraucherratgeber Finanztip.
Oft, sagt er, muss man bei solchen einfachen Geschäftsideen viel mehr Arbeit hineinstecken als gedacht. Mit einem passiven Einkommen hätte das dann nichts mehr zu tun. «Und solche Ideen können auch ein Rohrkrepierer sein. Es ist also die Frage, ob dadurch überhaupt Geld fließt und wenn ja, wie regelmäßig und wie lange.»
Als realistische Strategien schätzen dagegen beide Experten den Aufbau eines passiven Einkommens durch Aktienvermögen oder Immobilien ein. Wobei sich bei Immobilien niemand vertun sollte: Deren Verwaltung in Eigenregie kann ebenfalls viel Arbeit verursachen. Die klassische Geldanlage in Aktien eigne sich gerade für Menschen, die mit kleinen Summen anfangen zu sparen, so Adam. «Wer eine Immobilie kaufen möchte, braucht dagegen in der Regel schon eine gewisse Summe an Eigenkapital, um die Finanzierung zu stemmen.»
Schritt 2: Vermögen aufbauen
Wer sich dazu entscheidet, ein Aktienvermögen aufzubauen, sollte langfristig und breit investieren, rät Finanzexperte Halbe. «Ein breit gestreuter Aktien-ETF zum Beispiel auf den MSCI World eignet sich dafür. Ein Teil des Geldes kann auch in sichere Anlagen wie Tagesgeld oder Anleihen fließen.» Dann müsse aber mehr zurückgelegt werden, weil dadurch die Rendite der Geldanlage insgesamt sinkt.
Auch Dividendenaktien seien eine Möglichkeit, diese gibt es ebenfalls als ETF. Der Vorteil: Durch die Ausschüttungen erhalten Anleger regelmäßig Geld auf ihr Konto. In der Auszahlphase kann das also ein Teil des passiven Einkommens sein. «Während noch gespart wird, sollten die Dividenden aber unbedingt gleich wieder investiert werden», so Halbe.
Soll das Einkommen später aus Mieteinnahmen bestritten werden, müssen bestenfalls mehrere Immobilien angeschafft werden. «Man sollte niemals alles auf eine Karte setzen. Bei Wohnungen kann es immer sein, dass Eigentümer Probleme mit Mietern bekommen. Dann fehlen Teile der Mieteinnahmen», sagt Adam.
Er rät, erst mal mit einer kleinen Wohnung anzufangen. Die könne auch auf Kredit gekauft werden. «Wichtig ist, dass die Miete höher ist als Kreditrate und Kosten für die Wohnung, damit sich die Immobilie selbst trägt.» Anfangs bleibt von den Mieteinnahmen dann zwar noch nicht viel übrig, aber irgendwann ist die Immobilie abbezahlt und die Miete bringt ein stetiges Einkommen.
Schritt 3: Die Sparrate berechnen
Wie viel Geld künftige Privatiers auf der hohen Kante haben, oder wie hoch die Mieteinnahmen sein müssen, um davon ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, dafür gibt es laut Adam kein Patentrezept. «Das hängt auch vom Ziel ab. Also, wie hoch ist der Lebensstandard, der damit finanziert werden soll? Ab wann soll das passive Einkommen fließen und soll es ein Arbeitseinkommen voll ersetzen oder vielleicht nur ergänzen?» Wer zum Beispiel seine Arbeitszeit lediglich reduzieren möchte, braucht ein deutlich kleineres Finanzpolster als jemand, der sich komplett daraus finanzieren möchte.
Finanztip hat einen Rechner erstellt, mit dem sich dieser Finanzbedarf berechnen lässt – und auch die entsprechende monatliche Sparrate. Ähnliche Rechner finden sich auch von anderen Anbietern im Internet. Wer mit Mitte 30 anfängt zu sparen und sich ab Mitte 50 rund 2.000 Euro pro Monat auszahlen möchte, braucht dafür laut Finanztip gut 450.000 Euro auf der hohen Kante. Sofern die Rendite während der Sparphase sechs Prozent pro Jahr beträgt, müsste ein Sparer dafür fast 1.000 Euro pro Monat zurücklegen.
Wichtig: Das Geld würde in dieser Rechnung für 40 Jahre reichen. Wer sein Vermögen dagegen nicht antasten möchte, sondern allein von den Erträgen leben will, braucht deutlich mehr Geld auf dem Konto. In unserem Beispiel wären das 600.000 Euro bei einer Rendite von vier Prozent während der Verrentung.
Schritt 4: Möglichkeiten prüfen und Einkommen kassieren
Einige Jahre bevor das passive Einkommen fließen soll, müssen Sparer ihre Möglichkeiten abklopfen. Dazu gehöre auch, grob abzuschätzen, bis zu welchem Alter die Rente fließen soll – wie lange also das Vermögen reichen muss, so Adam. «Auch die Inflationsrate sollte nicht vergessen werden. Durch sie steigt der Bedarf im Alter.»
Dann geht es ans Rechnen. Wie hoch können die Auszahlungen sein, wie viel finanziellen Spielraum bringt das? Wer nicht mehr arbeitet, muss sich in der Regel freiwillig krankenversichern, außerdem fallen auf die Auszahlungen Steuern an. Auch solche Posten sollten bei der Kalkulation berücksichtigt werden.
Wer in Aktien investiert hat, muss sich außerdem entscheiden, ob das angesparte Vermögen aufgezehrt, also Stück für Stück verkauft werden soll. Oder ob es zum Beispiel für Erben erhalten bleiben soll. «Vielen fällt es emotional sehr schwer, ihr Erspartes wirklich aufzubrauchen», weiß Stefan Adam aus seinen Beratungen.
Möglicherweise kommt bei dieser Prüfung heraus, dass das Geld nicht reichen wird, um ein Arbeitseinkommen komplett zu ersetzen. «Dann haben Sparer aber noch andere Möglichkeiten. Sie können den Ausstieg aus dem Job zum Beispiel etwas nach hinten verschieben oder sie reduzieren lediglich ihre Arbeitszeit.