Die Zeit der netten Worte ist für Rolf Aldag vorbei. «Das ist ja nicht schönzureden. Er kommt einfach nicht mehr mit», sagte der Sportchef von Red Bull bei Eurosport. Das deutsche Elite-Radteam war mit seinem Star Primoz Roglic und nur einem Ziel in den 108. Giro d’Italia gestartet: Gesamtsieg. Vor der enorm schweren Schlusswoche steht jedoch eher eine Aufgabe als das Rosa Trikot zur Debatte.

«Eine Chance auf was ist die Frage», sagte Aldag zu den Möglichkeiten in den Alpen. «Eine Chance zu gewinnen? Man kann halt immer kreativ sein und das Letzte, was stirbt, ist die Hoffnung.» Fast vier Minuten liegt Roglic schon hinter dem überraschend führenden Mexikaner Isaac del Toro.

Sturzfolgen verschleiert

Es bedarf schon einer enormen Kreativität, Roglic noch etwas zuzutrauen. Schon auf der ersten Alpen-Etappe wurde der Slowene am Sonntag abgehängt, die Folgen von drei Stürzen ließen sich nicht mehr verschleiern. «Wir haben versucht, es etwas herunterzuspielen. Nun haben wir die Wahrheit gesehen», sagte der Sportliche Leiter Christian Prömer. Die Wahrheit ist, dass Roglic einmal mehr die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt.

Natürlich kann bei Weitem nicht behauptet werden, Roglic liefere überhaupt nicht. Im Trikot von Red Bull gewann er im vergangenen Jahr die Spanien-Rundfahrt und die Dauphiné, in diesem Jahr stand er bei der Katalonien-Rundfahrt ganz oben. Doch das sind weder Siege, die den gewaltigen Ansprüchen der erfolgsverwöhnten Team-Besitzer genügen noch ist es das, wofür man dem 35-Jährigen ein Gehalt von mehreren Millionen Euro zahlt.

Roglic wurde aus seinem Vertrag beim Team Visma explizit herausgekauft, um die Tour de France zu gewinnen. Es war der eine Erfolg, der ihm und seinem neuen Team noch fehlte. Dort stieg er im vergangenen Jahr nach mehreren Stürzen nach der zwölften Etappe aus und es braucht schon ein gewaltiges Maß an Fantasie, um sich vorzustellen, Roglic könnte im Juli im Gelben Trikot nach Paris fahren.

Tour zum Lernen

Bei Red Bull könnte dies die Tür für Florian Lipowitz in Sachen Tour öffnen. Noch ist offiziell offen, ob das deutsche Top-Talent beim Grad Départ in Lille dabei sein wird. Sein Rennprogramm steht erst einmal bis zum Critérium du Dauphiné. Die traditionelle Generalprobe zur Tour wird Lipowitz als Kapitän von Red Bull fahren. Warum also nicht auch bei der Tour?

Natürlich wird der 24-Jährige weder für den Gesamtsieg noch für das Podium infrage kommen. Doch mit Platz zwei bei Paris-Nizza und Platz vier bei der Baskenland-Rundfahrt zeigte der Schwabe, das ihm die Zukunft gehört. Hinzu kommt sein siebter Platz bei der Spanien-Rundfahrt im vergangenen Jahr, den er trotz Helferdiensten für Roglic erreichte.

Ullrich ist Lipowitz-Fan

Einen berühmten Fürsprecher hat Lipowitz bereits. «Der hat ja schon bei der Vuelta letztes Jahr bewiesen, mit einem Top-Ten-Platz in der Gesamtwertung, dass er ein Riesentalent ist», sagte Jan Ullrich. Lipowitz habe die Fähigkeiten, um auch mal bei der Tour de France aufs Treppchen fahren zu können.

Lipowitz hätte die Tour und Unterstützung dabei zweifellos verdient. Die Frage ist, ob man bei Red Bull dazu schon bereit ist. Zumal die Stimmung – gerade in der Konzernzentrale – nicht gerade grandios sein dürfte. Zwar fuhr man schon elf Siege ein, doch die Mehrzahl bei unbedeutenden Rennen. Die kräftig aufgemotzte Klassikerfraktion enttäuschte im Frühjahr komplett. Es ist unter dem Strich für das Investment von geschätzten 50 Millionen Euro jährlich schlicht zu wenig.