Die neue Bundesregierung steht im Kampf gegen Wohnungsnot und steigende Mieten vor einer Herkulesaufgabe: Die Zahl der neuen Wohnungen ist im vergangenen Jahr um gut 14 Prozent eingebrochen. 251.900 Wohnungen wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamts in Deutschland fertiggestellt – 42.500 weniger als im Vorjahr. Das ist ein Tiefstand seit 2015.
Grund für die schon lange anhaltende Flaute am Bau sind kräftig gestiegene Zinsen und Baukosten. Viele Hausbauer nahmen deshalb von ihren Plänen Abstand, Investoren hielten sich zurück – für sie lohnt das Bauen kaum. In Deutschland fehlen nach Schätzung von Experten Hunderttausende Wohnungen. Den Mangel bezifferte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) kürzlich auf «500.000 und mehr».
Die Statistiker sprachen von einem ersten deutlichen Rückgang bei den neu errichteten Wohnungen, nachdem die Zahl von 2021 bis 2023 je bei rund 294.000 gelegen hatte. Besonders stark abwärts ging es bei neuen Ein- und Zweifamilienhäusern, die meist von Privatleuten gebaut werden.
Neue Bauministerin: «Bagger müssen wieder rollen»
«In Deutschland wird zu wenig und zu langsam gebaut», sagt die neue Bundesbauministerin Verena Hubertz (SPD), die für die ersten 100 Tage ihrer Amtszeit einen «Wohnungsbau-Turbo» angekündigt hat. Die Genehmigungsverfahren seien zu kompliziert und langwierig, Baukosten zu hoch und Förderbedingungen zu undurchsichtig.
Sie will Genehmigungsverfahren beschleunigen, steuerliche Anreize verbessern, moderne Bauweisen voranbringen und die Ausweisung von mehr Bauland ermöglichen. «Die Bagger müssen wieder rollen und wir müssen bauen, bauen, bauen», sagt Hubertz. «Und das zu bezahlbaren Preisen.»
Wohnungsbau als Härtetest für die Politik
Am Wohnungsbau war die Vorgängerregierung gescheitert: Die Ampel-Regierung hatte ihr eigenes Ziel von 400.000 neuen Wohnungen jährlich immer wieder verfehlt. Zuvor war die Zahl neuer Wohnungen vom Tiefststand bei 159.000 im Jahr 2009 bis auf 306.400 im Jahr 2020 gestiegen.
Da der Wohnungsmangel in den Städten sich bei einer Flaute am Bau verschärft, erwarten viele Experten weiter steigende Mieten und Immobilienpreise. Wohnungen und Häuser verteuerten sich laut dem Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) zuletzt so stark wie seit Mitte 2022 nicht mehr. Und gerade in den Städten ziehen die Mieten seit Jahren kräftig an.
Schnelle Linderung in der Wohnungskrise ist nicht in Sicht. 2024 sind die Baugenehmigungen um knapp 17 Prozent auf den niedrigsten Stand seit 2010 gefallen. Mit 215.300 lagen sie deutlich niedriger als die Zahl der neuen Wohnungen. Dadurch ging die Zahl der schon genehmigten, aber noch nicht fertigen Wohnungen zurück – auf 759.700 Wohnungen per Ende 2024. Dieser «Bauüberhang» müsse ausgeschöpft werden, sagte Hubertz.
Wohnungsbau dauert immer länger
Ein Grund für die Misere am Bau: Die quälend langen Prozesse. Durchschnittlich vergehen in Deutschland 26 Monate von der Bewilligung bis zum fertigen Neubau, schreiben die Statistiker – sechs Monate mehr als 2020. Im vergangenen Jahr erloschen sogar 29.000 Baugenehmigungen für Wohnungen, weil die in der Regel die mehrjährige Gültigkeitsdauer abgelaufen sei.
«Das Ziel muss sein: Mehr Wohnraum, weniger Hürden», fordert der Immobilienverband ZIA und verlangt einfachere Baustandards. Die IG BAU fordert Tempo: «Der Neubau-Turbo muss jetzt starten, nicht erst morgen und schon gar nicht übermorgen», sagt Gewerkschaftschef Robert Feiger.
Baubranche schöpft nur langsam Hoffnung
Die Baubranche sieht erst langsam Besserung. Die Zahlen seien immer noch katastrophal, sagte Peter Hübner, Präsident des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie (HDB), kürzlich. Allerdings habe das Neugeschäft mit Immobilienkrediten 2024 deutlich zugelegt. «Der positive Trend setzte sich auch zu Jahresbeginn 2025 fort und könnte ein erstes zaghaftes Zeichen dafür sein, dass die Talsohle im Wohnungsneubau langsam erreicht ist.»
Der Zentralverband des Baugewerbes (ZDB) hingegen rechnet für dieses Jahr sogar mit einem weiteren Rückgang auf höchstens 230.000 neue Wohnungen. Selbst 2026 werde sich wenig ändern, weil die Zahl der Genehmigungen für neue Wohnungen im vergangenen Jahr drastisch gesunken ist. ZDB-Hauptgeschäftsführer Felix Pakleppa sagt: «Erst wenn die Genehmigungszahlen wieder spürbar steigen, können zwei Jahre später die Baufertigstellungen anziehen.»
Großaufträge für den Tiefbau
Immerhin: Im März hat die Baubranche starken Schwung durch mehrere Großprojekte für Straßen und Bahnstrecken erhalten. Im Vergleich zum Februar stieg der preisbereinigte Wert der neuen Aufträge im Tiefbau um 34,3 Prozent – so stark wie noch nie seit der Wiedervereinigung.