Zur Eröffnung ein Sturm. Wie passend. Sturm «Xaver» zog über die Stadt an der Nordseeküste hinweg, als am 5. Dezember 2013 das Museum «Windstärke 10» in Cuxhaven eröffnet wurde. Mit Windstärke 10. Fast so, als hätte es noch eine passende Kulisse gebraucht für die beiden Ausstellungsschwerpunkte des neuen Museums: die harte und gefährliche Arbeit in der Hochseefischerei und das Risiko des Schiffbruchs.

Jenny Sarrazin, bis 2021 Leiterin des Museums, erzählt heute als ehrenamtliche Mitarbeiterin bei Führungen von spektakulären Schiffsuntergängen. Zum Beispiel dem der «Wilhelmine». Die hölzernen Reste des 15 Meter langen Schiffes sind so ziemlich das Erste, was man in der großen Mittelhalle des Museums sieht.

Die «Wilhelmine» war ein Ewer, «ein typisches Fischereifahrzeug, denn die Nordsee war immer ein begehrter Fischgrund.» Was genau der «Wilhelmine» zum Verhängnis wurde, lässt sich nicht mehr sagen. Jedenfalls war die See am 16. Februar 1928 rau und die Sicht schlecht. «Und der Skipper hatte keine Ahnung von Navigation», sagt Sarrazin. Er verlor die Orientierung und lief auf einer Insel in der Elbmündung auf. Die Mannschaft wurde gerettet, das Schiff aber verschwand im Elbsand und wurde erst 1979 wieder frei gespült.

Tausende von Wracks

Die «Wilhelmine» ist nur einer von vielen Punkten auf einer Karte an einer Wand im «Windstärke 10». Jeder Punkt steht für ein gesunkenes Schiff. Geortet wurden die Wracks vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie. Schiffe, die komplett eingesandet sind, tauchen in dieser Karte nicht auf.

Doch auch so wird deutlich: Die Deutsche Bucht vor der Haustür von Cuxhaven als dem größten Nordseeheilbad Deutschlands, das vor allem wegen der Sandstrände und dem Wattenmeer besucht wird, ist einer der größten Schiffsfriedhöfe weltweit.

Die meisten Punkte auf der Karte im Museum sind rund um die Doggerbank im Nordwesten der Deutschen Bucht, einem beliebten Laichgrund von Heringen und damit Ziel von Fischern. Aber auch in der Elb- und Wesermündung und längs des Schifffahrtsweges nördlich der ostfriesischen Inseln verdichten sich die Punkte.

Zu vielen dieser Punkte kann Sarrazin eine Geschichte erzählen. Da ist die «Kaffraria», die 1891 vor Otterndorf strandete, beladen unter anderem mit Küchenutensilien, Kinderspielzeug und Stoffen. «Die Otterndorfer haben sich bedient.» Bald danach sah man den einen oder anderen Bewohner in einem neuen Anzug.

Sarrazin berichtet auch von der «Gottfried», deren Schicksal bereits Thema einer TV-Dokumentation war. Im März 1822 geriet der kleine Frachtsegler «in einen der übelsten Orkane des 19. Jahrhunderts» und strandete vor Cuxhaven. An Bord: ägyptische Altertümer, bestimmt für den preußischen König Friedrich Wilhelm III., darunter ein kostbarer Granitsarkophag und mehrere Holzkisten mit Mumien. Sieben dieser Mumien wurden von Küstenbewohnern geborgen und aus Angst vor der Pest gleich wieder vergraben. Der Sarkophag ist nie wieder aufgetaucht.

Größte zivile Schiffskatastrophe

Zu den Schiffskatastrophen, die in einem abgedunkelten Seitentrakt des Museums thematisiert werden, gehört die der «Cimbria». Das über 100 Meter lange Auswandererschiff war in der Nacht zum 19. Januar 1883 auf dem Weg von Hamburg nach New York.

37 Kilometer nordwestlich von Borkum bohrte sich bei dichtem Nebel die «Sultan», ein englischer Kohlendampfer, in die Backbordseite. Gut eine Viertelstunde später ragten nur noch zwei Masten aus dem Wasser. In dieser Nacht starben 437 Menschen, vor allem Auswanderer aus Osteuropa, darunter sehr viele Frauen und Kinder.

Der Untergang der «Cimbria» ist bis heute die größte zivile Schiffskatastrophe in der Nordsee. Im Museum ist eine Tasse aus Porzellan zu sehen, innen mit Goldrand, außen blassrosa. Taucher bargen sie aus dem Wrack. Auf der Tasse stehen nur zwei Worte: «Remember me». 

Vom Aussichtspunkt den Lotsen bei der Arbeit zusehen

«Heute sind die Schifffahrtswege sehr viel sicherer geworden», sagt Sarrazin, nicht zuletzt dank modernen Navigationshilfen wie Radar und GPS. Nach wie vor unentbehrlich aber sind die Lotsen. Seit rund 450 Jahren verrichten sie in Cuxhaven ihren Dienst. Sie wohnten im Lotsenviertel, nahe am Hafen.

Im Museum «Windstärke 10» ist ihre Arbeit im «Lotsenraum» dokumentiert. Hier trifft sich einmal im Monat ein Kreis von rund 20 ehemaligen Lotsen. Jürgen Trinkies ist ihr Sprecher. Der 82-Jährige ist 19 Jahre zur See gefahren und hat danach 27 Jahre lang als Lotse gearbeitet. «Die Elbe ist voll mit Wracks», sagt Trinkies. Und sie ist nach wie vor ein gefährliches Fahrwasser. «Die Tiefe, die Strömung», selbst Kapitäne, die weltweit unterwegs sind, könnten das nicht einschätzen.

Außerdem werden die Schiffe immer größer, manche sind 400 Meter lang und 60 Meter breit. «Da ist es absolut notwendig, dass das Schiff in der tiefsten Rinne fährt.» Rund 290 Lotsen sind noch auf der Elbe aktiv, 40 von ihnen in Cuxhaven.

Von der «Alten Liebe», einem beliebten Aussichtspunkt, wird man also auch in Zukunft beobachten können, wie sich Lotsen an Bord ihrer Boote auf den Weg zu Schiffsriesen machen, um sie sicher in den Hafen von Hamburg oder die offene See zu geleiten.

Links, Tipps, Praktisches:

Anreise: Mit dem Auto ist man etwa von Berlin und Köln aus je rund fünf Stunden unterwegs, von Hamburg oder Hannover gut zweieinhalb Stunden. Mit der Bahn geht es über Hamburg oder Bremen und Bremerhaven bis ins Zentrum von Cuxhaven. Das Wrack- und Fischereimuseum Cuxhaven «Windstärke 10» liegt nur wenige Meter vom Bahnhof entfernt.

Beste Reisezeit: Cuxhaven hat ganzjährig Saison und zählt über 600.000 Übernachtungsgäste pro Jahr, vor allem im Sommer, dank der Sandstrände in den Ortsteilen Duhnen und Sahlenburg. Beliebt sind auch Wattwagenfahrten nach Neuwerk, einer vorgelagerten Insel, die zu Hamburg gehört, sowie Wattwanderungen, die selbst im Winter angeboten werden. Wer nicht unbedingt baden will, sollte auf die Nebensaison ausweichen. 

Neben «Windstärke 10» gehören der Hafen mit der Hapag-Halle, die Aussichtsplattform Alte Liebe, das See- und Wahrzeichen Kugelbake als nördlichster Punkt Niedersachsens, das Wattenmeer Besucherzentrum, das Schloss Ritzebüttel und das Joachim-Ringelnatz-Museum zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt mit ihren knapp 50.000 Einwohnern.

Übernachtung: Das Angebot reicht von einem Fünf-Sterne-Haus wie dem «Badhotel Sternhagen» über die «Villa Caldera», einem stilvollen Haus von 1904, bis zum «Hafenhostel» und rund einem Dutzend meist strandnahen Campingplätzen. Außerdem gibt es zahlreiche Ferienwohnungen.

Weiterführende Informationen: nordseeheilbad-cuxhaven.de