Culion ist wie keine zweite der 7.641 Inseln der Philippinen, ein Gegenentwurf zum Übertourismus. Im Museum des Hauptortes urteilt Leiter John Lisboa: «Culion ist ein verlorenes Inselparadies.» Hügel und Buchten gehören dazu, Fischerorte, Wasserfälle, fast menschenleere Strände.
Es gibt keine Resorts, kaum Besucher, weder Autoverleih noch Linienbusse. Wer anreist, braucht Pioniergeist zur Entdeckung – und die Bereitschaft, mit Moped oder Tuk Tuk über Betonplattenstraßen und Pisten zu rumpeln. Und auch an einer düsteren Vergangenheit kommt man kaum vorbei.
Die sonnendurchtränkte Insel hat historische Schattenseiten, weshalb das Museum und sein Archiv zum Weltdokumentenerbe der Unesco zählen. Dort dreht sich alles um eine tückische Krankheit. «Culion war einst die größte organisierte Leprakolonie der Welt», sagt der 58-jährige John Lisboa und bedauert, noch heute «gegen Stigmatisierung und Vorurteile» kämpfen zu müssen.
Denn die Lepra ist auf der Insel längst besiegt, die Isolation aufgebrochen, die Kolonie seit Mitte der Neunzigerjahre eine normale Gemeinde. Besucher müssten sich keinerlei Sorgen machen, sagt Lisboa, dessen Großeltern in der Verwaltung der Kolonie arbeiteten.
Zeugnisse der Geschichte
Rückblende. 1902 bereitet die US-Kolonialmacht den Bau einer Leprakolonie auf Culion vor. Die Planer haben die Insel wegen ihrer strategischen Lage und der Ressourcen, vor allem Wasser, ausgewählt und siedeln die ursprünglichen Bewohner um. 1906 treffen die ersten Patienten ein.
Fortan werden Infizierte aus dem ganzen Land nach Culion deportiert, in Häusern untergebracht, medizinisch versorgt. Ein Jesuitenpater und vier Ordensschwestern aus Frankreich leisten spirituellen Beistand. Im Rekordjahr 1935 leben 7.000 Erkrankte hier.
«Culion war auch ein Mekka der Forscher, die hofften, die Krankheit zu heilen», blickt Lisboa zurück und spricht unangenehme Wahrheiten aus: «Die Patienten wurden behandelt wie Gefangene. Es war eine Insel der lebenden Toten, eine Insel ohne Wiederkehr. Niemand kam von hier heraus.»
Hermie Villanueva, 54, führt historische Rundgänge durch den Hauptort, zeigt Bauten der einstigen Kolonie: das Heim für Kinder von Leprapatienten, den Bäderkomplex Tres Bolas, das Theater, eine Verbrennungsanlage für Kleidung und Krankenhauswäsche, die Bungalows der Ärzte. Der Vorläufer der Kirche Inmaculada Concepción und eine Festung stammen aus der spanischen Kolonialzeit, etwas außerhalb liegt der Friedhof mit einer Vielzahl verwitterter Gräber.
Auf dem Zentralplatz gab sonntags die «Culion Leprakolonie-Band» ein Konzert. Villanueva deutet auf die bunten Häuser rund um den Platz und sagt: «Da leben Nachfahren der einstigen Patienten.» Unterwegs begegnen wir einer alten Dame, Juliana Valibia, eine lebende Zeitzeugin, 88 Jahre alt. Beide Elternteile litten an schwerster Lepra, erzählt sie.
Auch Villanueva hat einen persönlichen Bezug zur Historie: «Meine Großmütter hatten die Krankheit. Beide wurden gewaltsam von ihren Familien getrennt und aus dem Norden nach Culion gebracht.»
Friedliche Stimmung
Plötzlich ist die Vergangenheit wie weggewischt und weicht traumhaften Bildern. Das Grün der Hügel verschmilzt mit dem Tiefblau der See. Das Wasser kreiselt um Stelzenhäuser, Mangroven. Überall begegnet man herzlichen Menschen. Von was genau die 20.000 Inselbewohner leben, kann selbst Guide Villanueva nicht eingrenzen: «Fischfang, etwas Landwirtschaft, kleine Läden, Büroarbeit, Dreirad-Taxis. Die meisten hier haben kein regelmäßiges Einkommen.»
Janette und Simon Lavers setzen mit einem Homestay im Hauptort auf den zaghaft anlaufenden Tourismus. «Unsere Gäste mögen die Natur, die Einzigartigkeit der Geschichte, die friedliche Stimmung. Alles ist sicher, bei uns gibt es keine Kriminalität», sagt die 42-jährige Janette.
Versteckte Winkel
Touristenführer Hermie Villanueva, den alle nur «Pastor» nennen, weil er auch evangelische Inselpfarrer ist, zeigt Besuchern alle Winkel der Insel. Er knattert mit seinem Moped voraus, an dem das Reifenprofil so glatt ist wie ein Babypopo. Natürlich fährt er, wie alle hier, ohne Helm und begreift die Hupe als Begleitsound.
Im Fahrtwind fliegen Reisfelder und Bambushaine vorbei. Straßenhunde feiern eine Versammlung. Vor jeder Hütte blüht ein Lächeln. Im Küstendorf Butnongan ist Fischer Wilbert V. Pantoja wegen einer Wetterwarnung heute an Land geblieben. Nun hängt der 35-Jährige mit anderen Männern hinterm Meer auf einem Bambusgestänge herum und surft mit dem Handy im Internet.
Kommen Touristen, was extrem selten der Fall ist, fährt Pantoja sie bei Flut hinaus zum Cemetery Beach. Auch lockt jederzeit ein Bad im Hinterland: Villanueva kennt den Weg zum versteckten Wasserfall Butnongan mit einem Naturpool, der türkisfarben leuchtet.
Tags darauf steuert Villanueva einsame Strände an, Serenity Beach und den privaten Nabayuan Beach, den er mit Erlaubnis des Eigentümers aufsuchen darf. Strände wie diese wären in anderen Weltgegenden mit Edelresorts zugepflastert. Keine Menschenseele ist in Sicht. Im Wasser dümpelt ein Auslegerboot. Eine Brise raschelt in Palmblättern. So sieht ein verlorenes Inselparadies aus.
Links, Tipps, Praktisches:
Reiseziel: Culion liegt im westlichen Teil des Inselstaats der Philippinen, etwa 350 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Manila.
Reisezeit: Die besten Monate sind Januar bis Mai; zwischen Juli und Dezember herrscht Regenzeit.
Anreise: Flug nach Manila, ab dort Inlandsflug zum Busuanga Airport und 20-Kilometer-Transfer in die Stadt Coron. Dort starten regelmäßig Fähren nach Culion, Fahrzeit etwa 50 Minuten.
Einreise: Reisepass und ein Visum sind erforderlich. Dieses wird laut Auswärtigem Amt unter Vorlage eines gültiges Rück- bzw. Weiterflugtickets bei Einreise gebührenfrei erteilt und gilt für 30 Tage.
Gesundheitshinweise: Bei direkter Einreise aus Europa ist keine Pflichtimpfung vorgeschrieben.
Unterkunft: Die Auswahl ist dürftig. Es gibt Homestays wie «Casa Osmeña» und «Tasha’s Hillside» (über Airbnb), außerdem das «Hotel Maya».
Touren/Aktivitäten: Hermie Villanueva organisiert Touren und auch Mopedverleih; E-Mail: culiontourplus@gmail.com. Im Homestay «Casa Osmeña» kann man bei den Besitzern Schnorchel- und Tauchausflüge buchen; E-Mail: meandmucha@hotmail.co.uk
Währung: Ein Euro entspricht rund 65 Philippinischen Pesos
Weiterführende Informationen: philippines.travel. Die Website http://culionpalawan.gov.ph ist derzeit in Aufbau.