Mit der Ankündigung, einen palästinensischen Staat anzuerkennen, wagt Frankreich als erste westliche Großmacht und erstes G7-Mitglied einen solchen Vorstoß. Der französische Präsident Emmanuel Macron teilte mit, die Anerkennung im September vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York zu verkünden. Welche Ziele verfolgt er mit seiner Initiative und welche Folgen hätte diese für die internationale Gemeinschaft?

Was will Macron mit seinem Vorstoß erreichen? 

Macron hatte schon vor einigen Monaten eine mögliche Anerkennung Palästinas in Aussicht gestellt und damit für einiges Aufsehen gesorgt. Über die humanitäre Lage im Gazastreifen zeigte er sich bei einem Besuch in der Region tief betroffen. Inzwischen ist die Lage für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen noch katastrophaler und verzweifelter geworden. 

Mit einer Anerkennung Palästinas setzt Macron jetzt auf ein eigenes diplomatisches Druckmittel. Zugleich unterstreicht er damit den Anspruch Frankreichs auf eine Führungsrolle in der internationalen Diplomatie.

«Frankreich will insbesondere für andere G7-Mächte wie das Vereinigte Königreich den Weg ebnen», sagte die Nahost-Expertin vom französischen Institut für Internationale Beziehungen Ifri, Amélie Férey, dem Nachrichtenmagazin «L’Express». Die moralische Führungsrolle der USA sei geschwächt und Frankreich wolle Grundprinzipien des Westens verteidigen, um nicht dem Vorwurf ausgesetzt zu sein, bei internationalen Konflikten mit zweierlei Maß zu messen.

Nach Angaben des französischen Außenministeriums geht es Macron vor allem um die Umsetzung der Zweistaatenlösung, mit der nach Vorstellung Frankreichs Frieden und Sicherheit in der Region geschaffen werden sollen. Zweistaatenlösung bedeutet, dass Israel und ein unabhängiger Palästinenserstaat friedlich Seite an Seite existieren.

In wenigen Tagen schon gibt es dazu in New York unter Vorsitz von Frankreich und Saudi-Arabien eine internationale Konferenz. Außenminister Jean-Noël Barrot werde Frankreichs Partner dort ermutigen, sich der Entscheidung zur Anerkennung Palästinas anzuschließen.

Das französische Investigativmedium «Médiapart» ordnete Macrons Erklärung als «Plan B» ein, weil dessen Versuch eines gemeinsamen Vorstoßes mit anderen Staatschefs, etwa aus Kanada und Großbritannien, bislang nicht erfolgreich war. «Jetzt haben die anderen zwei Monate Zeit, um sich zu positionieren», zitierte «Médiapart» eine diplomatische Quelle. 

Wie reagiert die Bundesregierung?

Sie schließt sich dem Vorstoß nicht an. Deutschland ist neben den USA der engste Verbündete Israels. Kanzler Friedrich Merz hat die Regierung Netanjahu für das militärische Vorgehen im Gaza-Streifen zwar kritisiert, ist aber bisher gegen Maßnahmen wie einen Waffenexportstopp, ein Einfrieren des EU-Assoziierungsabkommens oder eben die Anerkennung eines Palästinenserstaats. Deutschland ist für eine Zweistaatenlösung auf dem Verhandlungsweg. Eine Anerkennung eines palästinensischen Staates kommt demnach erst in Frage, wenn sich Israel und die Palästinenser geeinigt haben – was derzeit aussichtsloser denn je scheint.

Deutschland fühlt sich vor dem Hintergrund des Holocaust dem Existenzrecht Israels in besonderer Weise verpflichtet. Es erkennt aber gleichzeitig an, dass die Palästinenser auf der Grundlage des in der Charta der Vereinten Nationen verbrieften Selbstbestimmungsrecht der Völker einen eigenen Staat für sich in Anspruch nehmen. 

Warum lehnt Israel den Plan Macrons so vehement ab?

Die rechts-religiöse Regierung, aber auch Oppositionsführer Jair Lapid, lehnen Macrons Vorstoß entschieden ab. Sie sehen darin eine «Belohnung» für den Terror der Hamas. Nach ihrer Darstellung unterstützt ein Großteil der Palästinenser die Hamas – und hat deshalb keinen eigenen Staat «verdient». 

Warum sind sowohl Israel als auch die Hamas gegen eine Zweistaatenlösung?

Israels Regierung ist gegen die Zweistaatenlösung, weil in ihr die Ansicht vorherrscht, dass das besetzte Westjordanland und Ost-Jerusalem aus historischen und religiösen Gründen Israel zustehen und von Juden bewohnt werden sollen.

Bei nicht religiösen Israelis überwiegen Sicherheitsbedenken: Ein palästinensischer Staat, der in der Mitte Jerusalems beginnt und an manchen Stellen recht nah an die Metropolen Tel Aviv und Haifa heranreicht, gilt aus ihrer Sicht als ein inakzeptables militärisches Risiko.

Auch die Hamas lehnt eine Zweistaatenlösung ab. Sie beansprucht langfristig das gesamte historische Palästina – also einschließlich des heutigen Staatsgebietes Israels – für einen künftigen palästinensischen Staat. In einem Grundsatzpapier aus dem Jahr 2017 akzeptiert sie einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 – das heißt bestehend aus dem Westjordanland, dem Gazastreifen und Ost-Jerusalem – als «Zwischenschritt», erkennt aber auch dabei das Existenzrecht Israels nicht explizit an.

Woran ist eine Zweistaatenlösung bislang gescheitert?

Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern sind bislang gescheitert, weil keine Einigung auf den Grenzverlauf, den künftigen Status von Jerusalem, das Schicksal von Flüchtlingen aus vergangenen Kriegen und Vertreibungen sowie die Zukunft von israelischen Siedlungen in den palästinensischen Gebieten erzielt werden konnte. Zu den wichtigsten Streitpunkten zählen auch Israels Sicherheit sowie der Umgang mit Naturreserven wie beispielsweise Wasser.

Was ist bei den Vereinten Nationen und der Generaldebatte der UN-Vollversammlung im September zu dem Thema zu erwarten?

Gaza wird absehbar zu einem der Hauptthemen bei dem jährlichen Treffen der Staats- und Regierungschefs bei den Vereinten Nationen Ende September. Dort dürfte auch die Anerkennung Palästinas durch Frankreich nachhallen: «Ich denke, Macrons Schachzug wird andere Staats- und Regierungschefs, insbesondere in Europa, dazu bringen, sich zu fragen, ob sie Palästina ebenfalls anerkennen sollten», sagt Richard Gowan, UN-Experte der Denkfabrik Crisis Group. 

Unter Diplomaten am New Yorker East River habe bislang die Meinung geherrscht, dass Macron das Risiko wegen des absehbaren Ärgers mit Washington nicht eingehen werde. „Jetzt, da er sich zu Wort gemeldet hat, ist es für andere nicht anerkennende Staaten schwieriger, sich in dieser Frage zurückzuhalten. Ich denke, Macron betreibt auf der Weltbühne manchmal Gestenpolitik, aber diese Ankündigung wird andere Länder zwingen, ihre Positionen zu überdenken“, so Gowan. Es könne zu ähnlichen Ankündigungen vor allem von europäischen Ländern bei der Generaldebatte der UN-Vollversammlung kommen. Entscheidend dürfte dabei aber für viele sein, wie Großbritannien reagiert.

Welche Staaten haben Palästina schon anerkannt, welche haben dies bald vor?

Viele EU-Länder, vor allem in Ost- und Südosteuropa, haben schon vor langer Zeit Palästina anerkannt. So hat etwa das sehr israelfreundliche Ungarn Palästina schon 1988 anerkannt. Vor dem Hintergrund des Gaza-Krieges haben die EU-Länder Spanien, Irland und Slowenien den Staat Palästina im Vorjahr anerkannt. Neben Frankreich hat auch Malta eine Anerkennung angekündigt.

Was macht ein Gebiet zum Staat?

Juristisch wird ein Staat über drei Elemente definiert: Staatsvolk, Staatsterritorium und Staatsgewalt. Diese Kriterien greift auch die völkerrechtliche Montevideo-Konvention von 1933 auf. Demnach muss ein Staat eine ständige Bevölkerung, ein Staatsgebiet, eine Regierung und die Fähigkeit zu Beziehungen mit anderen Staaten haben. Nicht notwendig ist dagegen die Anerkennung durch andere Staaten.

Inwieweit die palästinensischen Gebiete diese Kriterien erfüllen, wird schon lange kontrovers diskutiert. Hinzu kommt, dass die palästinensische Autonomiebehörde mit Sitz in Ramallah, die eine Reihe von hoheitlichen Aufgaben wahrnimmt, seit 2007 keine Kontrolle über den Gazastreifen hat.