Ein Buxtehuder Bulle auf einem Bücherstapel. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Sina Schuldt/dpa)

In der beschaulichen Kleinstadt Buxtehude bei Hamburg startete der Buchhändler Winfried Ziemann vor 50 Jahren eine kleine Revolution. Nicht mehr nur Erwachsene sollten bestimmen, welche Bücher Jugendliche gerne lesen, nein – die Jugendlichen selbst sollten darüber entscheiden.

Den damals 37-Jährigen ärgerte es, dass beim Deutschen Jugendbuchpreis (heute Deutscher Jugendliteraturpreis) die Meinung der jungen Leute nicht gefragt war. Er gründete im Jahr 1971 den Jugendliteraturpreis Buxtehuder Bulle, dessen Jury zur Hälfte aus Jugendlichen und zur Hälfte aus Erwachsenen bestand. Damals noch von vielen belächelt, genießt der Preis heute deutschlandweit Anerkennung und feiert dieses Jahr sein 50-jähriges Jubiläum.

Über die Jahrzehnte gab es prominente Namen und Bestseller unter den Gewinnern. Der erste Bulle 1971 ging an Alexander S. Neill für «Die grüne Wolke». Michael Ende und «Die unendliche Geschichte» wurden 1979 prämiert, 2009 der Erfolgstitel «Die Tribute von Panem» der US-Autorin Suzanne Collins.

Die heutige Leiterin des Bullen, Ulrike Mensching, führt Ziemanns Schöpfung seit dessen Tod im Jahr 2010 weiter. «Es geht ums Mitentscheiden und Mitmischen», so Mensching. Der Preis solle Jugendliche nicht nur zum Lesen animieren, sondern auch dazu beitragen, gute Literatur zu verbreiten. «Das ist eine Laien-Jury, die würde nie etwas prämieren, was langweilig ist.» Die Gewinnertitel seien spannend, gut lesbar und meist gesellschaftskritisch.

Wie der Jugendroman «Vor uns das Meer» des US-Autors Alan Gratz, der dieses Jahr den 50. Bullen gewonnen hat und sich mit dem Thema Flucht beschäftigt. «Jugendliteraturpreise haben eine wichtige Orientierungsfunktion im Meer der Veröffentlichungen», betont Andre Kagelmann, Geschäftsführer der Arbeitsstelle für Kinder- und Jugendmedienforschung an der Universität Köln. Außerdem mache Lesen einfach «irre Spaß» und helfe jungen Menschen dabei, sich besser zu verstehen.

Gerade in der Pubertät stellten sich Jugendliche viele Fragen, sagt die Professorin für Literaturdidaktik und Lesesozialisation an der Goethe-Universität Frankfurt, Cornelia Rosebruck: Wer bin ich? Wo sehe ich mich in der Zukunft? Welche Rolle spiele ich in der Gesellschaft? Die Literatur könne Antworten bieten, die junge Menschen an anderen Orten nicht bekommen. «Wann lernt man sonst eine Person so nah, persönlich und intim kennen, wie in einem Roman? Literatur ist Erfahrung mit sich selbst und mit der Welt.» Deswegen sei es so wichtig, dass Kinder und Jugendliche lesen. Zudem seien Vielleser in der Regel sozial kompetenter und empathischer.

Für die 16-jährige Emily Reid, die Mitglied der aktuellen Bullen-Jury ist, hat Lesen einen weiteren Mehrwert: «Man kann in fremde Welten eintauchen und sich von der Realität lösen». Die Buxtehuderin hat schon immer viel und gerne gelesen. Auch wenn sie deutlich mehr Zeit am Handy als mit einem Buch verbringe, seien Bücher für sie etwas Besonderes. «Zum Beispiel lese ich immer, wenn ich nicht einschlafen kann. Das hilft ungemein», so die 16-Jährige.

Dass Bücher unter Jugendlichen nach wie vor beliebt sind, schlägt sich auch in den Verkaufszahlen für Kinder- und Jugendbücher nieder. Laut dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels ist der Umsatz zwischen Januar und September dieses Jahres im Vergleich zu 2019 um 11 Prozent gestiegen – obwohl zeitweise die Geschäfte geschlossen waren. Zum Vergleich: Der Bereich Belletristik hat nur um ein Prozent zugelegt.

Ihre lange Tradition der Leseförderung feiern die Buxtehuder bei der Preisverleihung am kommenden Donnerstag (11.11.). Gewinnerautor Gratz wird eigens aus Amerika anreisen, um die 50. Trophäe in Form eines Bullen und das Preisgeld von 5000 Euro entgegenzunehmen. Am Anfang sei der Bulle nur Insidern ein Begriff gewesen, sagt die Buxtehuder Bürgermeisterin Katja Oldenburg-Schmidt. «Mittlerweile ist der Preis deutschlandweit bekannt.» Für Emily Reid und alle Beteiligten ist es ein besonderer Höhepunkt, den Autor kennenzulernen und mit ihm über Literatur, Lesen und das Geschichtenerzählen zu diskutieren.

Von Mia Bucher, dpa

Von