Bund und Länder rangeln um ein mögliches Folgeangebot für die beliebten 9-Euro-Tickets im Nahverkehr. Verkehrsminister Volker Wissing machte deutlich, dass er die Länder dabei am Zug sieht. «Ich kann ein Ticket gar nicht gestalten, sondern das müssen die Länder machen», sagte der FDP-Politiker in der ARD.
In der Situation des Ukraine-Krieges habe der Bund einmalig einen Entlastungsvorschlag gemacht und das Ticket auch für drei Monate finanziert. «Jetzt muss man schauen, wie die Länder das finanzieren wollen.» Aus den Ländern kamen umgehend Hinweise, dass der Bund wegen nötiger zusätzlicher Milliarden weiter mit in der Verantwortung sei.
Wissing sagte, der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) sei generell Ländersache und nicht Bundessache. «Die Länder müssen auch selbst wissen, was sie wollen. Ich kann ja nicht von Bundesseite plötzlich den ÖPNV organisieren, die Preisgestaltung vorgeben.»
Wissing verwies zudem darauf, dass im Herbst die Ergebnisse einer mit den Ländern eingesetzten Arbeitsgruppe zur generellen Zukunft und Finanzierung des ÖPNV vorliegen sollen. Die im Juni gestarteten 9-Euro-Tickets gelten noch im Juli und August und ermöglichen bundesweit jeweils für einen Monat Fahrten in Bussen und Bahnen des Nahverkehrs.
Diskussion in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe
Die Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz, Bremens Senatorin Maike Schaefer, sagte der Deutschen Presse-Agentur, über eine Fortführung werde in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe diskutiert, insbesondere in Bezug auf ein sozial gestaffeltes Ticket. «Die Umsetzung wird aber nur mit einer massiven Anhebung der Regionalisierungsmittel durch den Bund möglich sein», betonte die Grünen-Politikerin. Wenn Wissing jetzt die Länder in der Pflicht zur Finanzierung sehe, wolle er ganz offensichtlich davon ablenken, dass er für die Zeit nach dem 9-Euro-Ticket keine ernsthafte Strategie für eine nachhaltige Mobilitätswende habe.
Nach dem Regionalisierungsgesetz sei der Bund für die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs zuständig, sagte Schaefer. Schon bei den 9-Euro-Tickets hatte es Diskussionen um die Finanzierung gegeben.
Der Bund finanziert die Aktion mit 2,5 Milliarden Euro zum Ausgleich von Einnahmeausfällen bei Verkehrsunternehmen – zusätzlich zu regulären 9,4 Milliarden Euro an «Regionalisierungsmitteln» in diesem Jahr, mit denen die Länder und Verbünde Verkehrsleistungen bei den Anbietern bestellen. Dazu kommt eine weitere Milliarde aus einem anderen Topf.
Länder fordern mehr Geld
Die Länder fordern schon seit längerem deutlich mehr Geld vom Bund für 2023. Hessens Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) sagte: «Die Länder sind weiterhin bereit, mit dem Bund über gemeinsame Schritte für mehr Busse und Bahnen und attraktive Konditionen bei einer möglichen Nachfolgeregelung des 9-Euro-Tickets zu reden.» Dabei stehe das Angebot: «Für jeden Euro mehr vom Bund für die Finanzierung des Betriebs legen die Länder einen Euro drauf. Aber bisher liegt das Angebot von Herrn Wissing bei null Euro, das ist das Problem.»
Über Anschlussangebote für die 9-Euro-Tickets wird diskutiert, um Fahrgäste von Energiekosten zu entlasten und Anreize fürs Umsteigen in den ÖPNV zu erhalten. Unter anderem gibt es Vorschläge für ein 365-Euro-Jahresticket und Monatstickets für 29 oder 69 Euro.
Der Grünen-Verkehrsexperte im Bundestag, Stefan Gelbhaar, sagte mit Blick auf Wissing: «Sich einen schlanken Fuß zu machen, geht nicht.» Der Minister sei in der Pflicht, mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) einen Vorschlag samt Finanzierung für eine Nachfolgeregelung zu entwickeln und vorzustellen. «Dafür sollte er die Länder, Gemeinden und Verkehrsunternehmen dazu holen.»
Der Autofahrerclub ADAC warnte vor einer reinen Preisdebatte. «Der Staat muss denen gezielt helfen, denen es schwerfällt, öffentlichen Verkehr weiterhin zu bezahlen», sagte Verkehrspräsident Gerhard Hillebrand der dpa. «Er muss aber auch in der Lage sein, ausreichend Finanzmittel in Ausbau und Verbesserung zu investieren.» Deshalb sei ein Festhalten an einem bundesweiten 9-Euro-Monatsticket für alle nicht zielführend. Dies würde eine Angebotsverbesserung hin zu einer dauerhaft größeren Attraktivität von Bussen und Bahnen erschweren.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) forderte eine Folgeregelung, die direkt an das 9-Euro-Ticket anschließt. «Es muss vermieden werden, dass Menschen, die jetzt den ÖPNV nutzen, im September aufs Auto umsteigen», sagte Verkehrsexperte Jens Hilgenberg der dpa. Die beste Lösung wäre ein 365-Euro-Jahresticket, das auch monatsweise erworben werden kann. Um den ÖPNV zu einer attraktiveren Alternative für noch mehr Menschen zu machen, brauchte es parallel zu günstigen Angeboten etwa auch deutlich bessere Fahrplanangebote.
Mehrheit für Anschlussangebot
Ganz generell wäre laut einer Umfrage eine große Mehrheit der Menschen in Deutschland für ein Anschlussangebot. 72 Prozent würden grundsätzlich eine Nachfolgelösung befürworten, wie die Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov ergab. Ablehnen würden es demnach 16 Prozent, 11 Prozent machen keine Angabe. Befragt wurden den Angaben zufolge 3697 Menschen ab 18 Jahre am 19. Juli.