Stefan Schmidtke, frisch ernannter Geschäftsführer der Kulturhauptstadt GmbH in Chemnitz. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Bodo Schackow/dpa-Zentralbild/dpa)

Unter dem Eindruck rechtsextremer Ausschreitungen haben die Chemnitzer ihre Kulturhauptstadt-Bewerbung gezimmert und sich im Herbst 2020 gegen die starke Konkurrenz durchgesetzt.

Ein Kernanliegen ist, die «stille Mitte» der Gesellschaft zu aktivieren. Kann das funktionieren? Der Unmut über die Corona-Maßnahmen gibt derzeit wieder Rechtsextremen in Sachsen Auftrieb, die Woche für Woche für illegale Aufzüge trommeln. Und mancherorts bricht sich wieder Gewalt Bahn. Dass sich Künstler davon abschrecken lassen, glaubt Programmdirektor Stefan Schmidtke nicht. «Ich bin mir sicher, dass Kultur und die Auseinandersetzung mit Kultur hier einiges bewegen kann.»

Vom «Abstrakten ins Praktische wechseln»

100 Seiten ist das «Bid Book» stark, mit dem Chemnitz den Zuschlag für die Kulturhauptstadt Europas 2025 gewonnen hat – neben Nova Gorica in Slowenien. Von einer «Ideensammlung» spricht Schmidtke, der seit Anfang Dezember an der Spitze der Kulturhauptstadt-GmbH steht. «Der nächste Schritt ist, daraus ein belastbares Programm zu machen. Wir sind an dem Punkt, aus dem Abstrakten ins Praktische zu wechseln.» 72 Ideen enthalte das Buch, aus denen nun konkrete Projekte gemacht würden. Diese hätten Priorität, doch sei geplant, künftig noch einmal die Türen für weitere Vorschläge zu öffnen. Im Sommer 2023 soll der EU dann ein fertiges Programm vorgelegt werden.

Erste Pflöcke wurden vergangenes Jahr eingeschlagen. Radsportler gaben mit einer Tour nach Prag einen Vorgeschmack auf den «European Peace Ride», mit dem Sportkultur gefeiert werden soll. Im November wurde mit der Pflanzung erster Bäume das Großprojekt «We Parapom» gestartet – der Auftakt für eine Parade von bis zu 4000 Apfelbäumen quer durch die Stadt. Sie soll symbolisch Grenzen überwinden, Menschen zusammenbringen und den Umgang mit Umwelt und Lebensmitteln reflektieren. Derweil ist der Kunstexperte Alexander Ochs unablässig rund um Chemnitz unterwegs, um den «Purple Path» zu entwickeln. Der Kunst- und Kulturpfad soll die Stadt mit dem Umland verbinden. Dazu wurde auch ein Nussknacker zur Raumstation ISS geschickt.

In einem Monitoring lobte die EU-Jury jüngst die Fortschritte und «den hohen Grad an Professionalität» des Chemnitzer Teams, gibt ihm aber auch einige Hausaufgaben. So müsse das Konzept der «Maker» (Macher) genauer herausgearbeitet werden. Sonst sei es ein reiner Modebegriff, unter dem alles Mögliche zu verstehen sei. Und die Experten mahnen mehr Tiefgang mit Blick auf den Umgang mit Menschen am rechten Rand der Gesellschaft und ihren Ansichten an. Es müssten kreative Wege gefunden werden, sich mit Verbreitung von rechtem Gedankengut in Teilen der Bevölkerung auseinanderzusetzen, ohne diese Menschen auszuschließen.

In den Fokus soll die «stille Mitte» rücken

Denn die Kulturhauptstadt 2025 will nicht nur ein Projekt zur Stadtentwicklung sein, sondern hat sich die Gesellschaftsentwicklung auf die Fahnen geschrieben. Erklärtes Ziel ist es, die «stille Mitte» in den Fokus zu rücken. Gemeint sind jene Menschen, die sich nicht an politischen Debatten beteiligen, sich nicht politisch engagieren und so indirekt womöglich einer gesellschaftlichen Radikalisierung Vorschub leisten. Dass es gelingt, diese «stille Mitte» zu aktivieren, dazu herrscht jedoch noch Skepsis, wie eine Umfrage der Technischen Universität Chemnitz bei Vereinen, Verbänden und Initiativen ergab.

«Mein Ziel ist es, Atmosphären zu schaffen, wo sich die Menschen wohlfühlen», betont Schmidtke. Dann kämen sie auch auf andere Gedanken. 2022 will er parallel zum Aufbau tragfähiger Strukturen weiter Appetit auf 2025 machen. Neben einem Chorfest sei dazu ein Festival unter dem Titel «Makers United» geplant als Treffen von Kulturschaffenden und Bürgern in der Stadt. Und auch die Parade der Apfelbäume wird weiter wachsen. Künftig sollen noch mehr Flächen entsiegelt und jeweils im Frühjahr und im Herbst weitere Bäumchen in die Erde gebracht werden.

Von Andreas Hummel, dpa

Von