Versöhnliche Worte von Altkanzler Olaf Scholz und Ex-Parteichefin Saskia Esken vor der SPD: Scholz will anders als andere frühere Kanzler nicht durch Provokationen auffallen, Esken geht nach eigenen Worten ohne Wehmut aus der Parteispitze. Parteichef Lars Klingbeil sieht sich auf dem Parteitag in Berlin nach seiner überraschend schwachen Wiederwahl auch als «Blitzableiter» für Unmut in der Partei.
Die Delegierten setzten den SPD-Parteitag unter dem Eindruck des miserablen 64,9-Prozent-Ergebnisses Klingbeils vom Vorabend fort. Die neue Co-Parteichefin Bärbel Bas hatte 95, der neue Generalsekretär Tim Klüssendorf 90,8 Prozent erhalten.
Was Scholz der Partei zum Abschied sagt
Scholz sagte seiner Partei zu, auch nach seiner Amtszeit sozialdemokratische Politik zu machen: «Ich habe vor, ein ehemaliger Kanzler zu sein, über den sich die SPD immer freut.» Altkanzler Gerhard Schröder hat vor allem wegen seiner Nähe zu Russlands Diktator Wladimir Putin ein schwieriges Verhältnis zu seiner Partei.
Scholz versprach, bei der Aufarbeitung des historisch schlechten Bundestagswahl-Ergebnisses (16,4 Prozent) mitzuarbeiten. «Ich will mich hilfreich an der Debatte beteiligen, mit der neuen Rolle.» Im Mittelpunkt müsse das ur-sozialdemokratische Thema Respekt stehen. Dass in vielen wohlhabenden Ländern rechter Populismus Unterstützung finde, habe mit mangelnder Hoffnung zu tun.
Esken: Mehr Zusammenarbeit
Esken rief die SPD bei ihrem Abschied aus der Parteispitze zu mehr Zusammenhalt auf. Das habe der Partei früher zum Erfolg verholfen – «und genauso müssen wir es heute auch wieder tun». Im Personalkarussell der SPD nach der Wahl war Esken leer ausgegangen: Die 63-Jährige bekam keinen Posten im Kabinett. Besonders herzlich dankte Esken Scholz. «Du warst mein Kanzler, und wir haben eine Menge zusammen erreicht.» Scholz habe ein warmes Herz und einen kühlen Kopf vor allem in stürmischen Zeiten.
Ohrfeige für Klingbeil
Schatzmeister Dietmar Nietan ging noch einmal auf die Ohrfeige für Klingbeil bei der Vorsitzendenwahl ein: «In der Anonymität einer geheimen Abstimmung das Mütchen zu kühlen, zeugt für mich nicht von Verantwortungsbewusstsein», sagte er am Rednerpult. Wenn man jemanden abstrafen wolle, dann solle man das sagen, «und dann muss man darüber diskutieren». Die Debatte am Freitagabend hatte die Parteitagsregie allerdings auf Delegierten-Antrag abgekürzt, rund 35 angekündigte Redebeiträge fielen weg.
Noch nie hatte ein SPD-Chef ohne Gegenkandidaten ein so schlechtes Wahlergebnis wie Klingbeil. Beobachter halten das auch für den Ausdruck von Unwohlsein an der Machtkonzentration des Vizekanzlers, Finanzministers und SPD-Chefs.
Klingbeil selbst sagte: «Ich wusste, das wird ein schwieriges Ergebnis.» Einigen habe die Koalition mit der Union nicht gefallen. Auch der von ihm mit vorangetriebene Generationswechsel in Kabinett, Fraktion und Parteiführung habe einige nicht glücklich gemacht. «Ein bisschen bin ich ja der Blitzableiter vielleicht auch für viele andere, und das gehört dann in der Verantwortung auch mit dazu», sagte er am Freitagabend bei einem Empfang des konservativeren Parteiflügels, des Seeheimer Kreises.
Verteidigungsminister Boris Pistorius berichtete, er habe zu Klingbeil gesagt: «In einem Jahr spätestens, wahrscheinlich schon früher, redet darüber gar keiner mehr, weil wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten so sind.»
Schmerzhafte Kompromisse
SPD-Fraktionschef Matthias Miersch stimmte seine Partei auf schmerzhafte Kompromisse in der Koalition mit der Union ein. Gerade etwa habe Schwarz-Rot den Familiennachzug zu Geflüchteten mit eingeschränktem Schutzstatus ausgesetzt. «Das ist ein Kompromiss, der uns nicht einfach gefallen ist. Aber er steht im Koalitionsvertrag», erklärte Miersch. Diesem Vertrag habe die SPD mit großer Mehrheit zugestimmt, und sie müsse ihn nun auch umsetzen.
15 Euro weiter Thema
An ihrer Forderung nach 15 Euro Mindestlohn hält die SPD im Grundsatz fest, wie sie in einem Beschluss deutlich machte. Arbeitsministerin Bärbel Bas hatte allerdings bereits deutlich gemacht, dass sie einem Votum der Mindestlohnkommission für 14,60 Euro vom vergangenen Freitag per Verordnung folgen will.
Wie weiter mit der Bundeswehr?
Kontroverse Positionen wurden in einer am frühen Samstagabend anstehenden Debatte erwartet, in der die SPD ihren außen- und sicherheitspolitischen Kurs angesichts der aktuellen Bedrohungen etwa aus Russland festlegen will. Auch über eine Wehrpflicht sollte diskutiert werden.
Scholz warnte davor, sich Illusionen über Putins Pläne zu machen. Gutverdienende sollten aber mehr zur Finanzierung der Verteidigungsfähigkeit herangezogen werden. «Ich jedenfalls glaube, dass wir hier zu neuer Solidarität in unserem Land aufgefordert sind.»
Als Gastredner rief der türkische CHP-Vorsitzende Özgür Özel Deutschland zur Unterstützung der Opposition in seinem Land auf, die Repressionen ausgesetzt ist. Die CHP ist Schwesterpartei der SPD. Einstimmig beschloss der Parteitag einen Antrag mit der Forderung, den seit dem 19. März in Untersuchungshaft sitzenden Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem İmamoglu und alle anderen politischen Häftlinge in der Türkei sofort freizulassen.