Deutschland hat die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie noch nicht ganz überwunden, da drohen durch den Krieg in der Ukraine neue Belastungen.
«Über der weiteren wirtschaftlichen Erholung in Deutschland und dem Euroraum hängt das Damokles-Schwert der Aggressionen Russlands sowie der darauf folgenden Sanktionen», sagte KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib.
Insgesamt kam Europas größte Volkswirtschaft besser durch das zweite Jahr der Pandemie als zunächst angenommen: Das Wirtschaftswachstum im Gesamtjahr 2021 fiel etwas stärker aus, der Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) zum Jahresende war deutlich geringer, ebenso das Defizit des Staates.
Der Staat gab im zweiten Pandemiejahr insgesamt 132,5 Milliarden Euro mehr aus, als er einnahm. Bezogen auf die gesamte Wirtschaftsleistung lag das Defizit von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bei 3,7 Prozent. Zunächst war die Behörde von einem Minus von 4,3 Prozent ausgegangen.
Im Vergleich zum Vorjahr sank das Defizit 2021 um 12,8 Milliarden Euro. Ein tiefes Loch von 143,4 Milliarden Euro klaffte beim Bund unter anderem wegen milliardenschwerer Hilfen für die Wirtschaft in der Pandemie und den Ausgaben zum Beispiel für die Beschaffung von Impfstoffen. Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen lagen hingegen auch aufgrund hoher Transfers des Bundes leicht im Plus. Im Corona-Krisenjahr 2020 hatte Deutschland erstmals seit 2011 wieder ein Haushaltsdefizit verbuchen müssen.
Zum Jahresende 2021 würgten die vierte Corona-Welle und die damit verbundenen Beschränkungen die Konjunkturerholung ab. Das Bruttoinlandsprodukt schrumpfte im vierten Quartal zum Vorquartal um 0,3 Prozent. In einer ersten Schätzung war das Statistische Bundesamt noch von einem Rückgang um 0,7 Prozent ausgegangen. Gegenüber dem vierten Vierteljahr 2019, dem Quartal vor Beginn der Corona-Krise, war die Wirtschaftsleistung um 1,1 Prozent niedriger.
Im Zeitraum Oktober bis Ende Dezember 2021 belasteten verschärfte Einschränkungen vor allem den Einzelhandel und das Gastgewerbe. Der private Konsum als wichtige Konjunkturstütze sank zum Vorquartal um 1,8 Prozent. Die staatlichen Konsumausgaben stiegen hingegen (plus 1,0 Prozent). Engpässe bei Rohstoffen und Vorprodukten wie Halbleitern trafen die Industrie.
Trotz des Rückgangs im vierten Quartal wuchs die deutsche Wirtschaft im Gesamtjahr den jüngsten Daten zufolge um 2,9 Prozent und damit etwas stärker als zunächst mit 2,8 Prozent berechnet. Im Krisenjahr 2020 war die Wirtschaft um 4,6 Prozent eingebrochen.
Der russische Angriff auf die Ukraine und die Sanktionen des Westens gegen Moskau trüben die Konjunkturaussichten für die kommenden Monate. Nach einem voraussichtlich ebenfalls schwachen Winterquartal 2022 könnte der Konflikt den erwarteten Frühjahrsaufschwung bremsen, befürchten viele Ökonomen. Wachsende Unsicherheit und steigende Energiepreise sind aus ihrer Sicht Gift für den Aufschwung.
Der Krieg in der Ukraine werde die Energiepreise und die Inflation im Euroraum weiter nach oben treiben, argumentierte Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der staatlichen Förderbank KfW. Gerade Deutschland, das etwa 14 Prozent seines Energieverbrauchs mit russischem Gas abdecke, wäre stark betroffen. Letztendlich sei der Effekt auf die deutsche und europäische Wirtschaftsleistung aktuell aber noch kaum abzuschätzen. «Von einer erneuten Rezession bis zu einem Wachstum von rund 3 Prozent ist aktuell noch alles möglich», sagte Köhler-Geib.
Martin Moryson, Chefvolkswirt Europa der Deutschen-Bank-Tochter DWS, befürchtet: «Die Unsicherheit, gegebenenfalls drastisch steigende Energie- und insbesondere Gaspreise können auf die Stimmung und die Kaufkraft der Konsumenten drücken.» Bröckelnde Nachfrage und steigende Importpreise könnten dann die Stimmung bei den Unternehmen eintrüben.
Nach Einschätzung von Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank, werden höhere Energiepreise den Aufschwung zwar etwas bremsen, «aber nicht grundsätzlich in Frage stellen». Gitzel verweist auf die prall gefüllten Auftragsbücher der Industrie und den Nachholbedarf der Verbraucherinnen und Verbraucher nach den weitgehenden Lockerungen der Corona-Beschränkungen: «Restaurants und Hotels, ja der gesamte Freizeitsektor, werden sich wieder über bessere Geschäfte freuen können.»