Deutschland droht wegen der Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine eine Wirtschaftskrise. Die «Wirtschaftsweisen» senkten ihre Konjunkturprognose für dieses Jahr drastisch. Sie erwarten nur noch ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 1,8 Prozent.
Bei einer Verschärfung des Konflikts und im Falle eine Lieferstopps russischer Energieimporte könnte es noch schlimmer kommen. «Das Risiko einer Rezession ist substanziell», sagte Volker Wieland, Mitglied des Sachverständigenrates, am Mittwoch in Berlin. Die Wirtschaft warnte davor, dass Firmen in existenzielle Schwierigkeiten geraten könnten.
BIP-Wachstum von 1,8 Prozent erwartet
Eine Rezession ist ein allgemeiner wirtschaftlicher Abschwung. Schrumpft die Wirtschaft zwei Quartale in Folge, sprechen Ökonomen von einer sogenannten technischen Rezession.
Der Sachverständigenrat («Wirtschaftsweise») als Beratergremium der Bundesregierung erwartet aktuell nur noch ein BIP-Wachstum von 1,8 Prozent. Im vergangenen November hatten die Experten noch mit einem Plus von 4,6 Prozent gerechnet. Die Aussichten für die deutsche Volkswirtschaft hätten sich deutlich verschlechtert.
Verschiedene Institute hatten ihre Prognose zuletzt bereits nach unten korrigiert, die «Wirtschaftsweisen » sind aber vergleichsweise pessimistisch. Die Unternehmen werden belastet etwa durch Lieferengpässe und steigende Energiepreise. Für das kommende Jahr sagen die «Wirtschaftsweisen» ein Plus von 3,6 Prozent vorher.
Große Unsicherheiten
Die aktualisierte Konjunkturprognose sei aber mit großen Unsicherheiten verbunden, hieß es. Sollte es zu einem Lieferstopp russischer Energieimporte oder einem Embargo durch den Westen kommen, fiele die wirtschaftliche Entwicklung noch schlechter aus als derzeit prognostiziert.
«Deutschland ist stark von russischen Energielieferungen abhängig. Ein Stopp dieser Lieferungen birgt das Risiko, dass die deutsche Volkswirtschaft in eine tiefere Rezession abrutscht und die Inflation noch stärker zunimmt», sagte Monika Schnitzer, Mitglied des Sachverständigenrates.
Deutschland sollte umgehend alle Hebel in Bewegung setzen, um sich gegen einen Stopp russischer Energielieferungen zu wappnen und die Abhängigkeit zu beenden.
Die Bundesregierung hatte am Mittwoch die erste Stufe eines Notfallplans Gas ausgerufen. Russland fordert, dass russische Gaslieferungen nach Westeuropa in Rubel bezahlt werden. Das lehnen Deutschland und andere westliche Staaten ab. Russland könnte einen Lieferstopp verhängen.
Anstieg der Preise erwartet
Bereits vor dem Krieg hatten Unternehmen mit Lieferengpässen zu kämpfen, eine Folge auch der Pandemie. Die «Wirtschaftsweisen» erwarten, dass das BIP im ersten Quartal 2022 erneut zurückgeht. Im Jahr 2021 war die deutsche Wirtschaft um 2,9 Prozent gewachsen, nach einem Einbruch im ersten Corona-Jahr 2020.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dämpfe das Wachstum und trage zum weiteren Anstieg der Energie- und Verbraucherpreise bei, so der Sachverständigenrat.
Die Inflation dürfte laut Prognose durch die hohen Energiepreise in diesem Jahr auf 6,1 Prozent steigen und im kommenden Jahr auf 3,4 Prozent zurückgehen.
Die «Wirtschaftsweisen» rechnen mit dauerhaft höheren Energiepreisen. Dadurch, dass sich Deutschland unabhängiger von Gas- und Ölimporten aus Russland mache, stiegen langfristig die Kosten, sagte Veronika Grimm vom Sachverständigenrat. «Die Energiepreise werden dadurch strukturell höher bleiben, als sie es vor dieser Krise waren.» Bisher habe Deutschland billiges russisches Gas bezogen:.«Die Diversifikation der Energieimporte wird auch Kostensteigerungen nach sich ziehen, die natürlich auch dauerhaft bleiben werden, wenn wir weiterhin die Energiesicherheit ausbauen wollen.»
Energie einsparen, wo es geht
Das russische Gas werde kurzfristig nicht vollständig ersetzt werden können. Wo möglich müsse es durch andere Energieträger wie Kohle ersetzt werden. Auch eine Verlängerung der Laufzeiten der drei noch verbliebenen Kernkraftwerke in Deutschland könnte einen Beitrag leisten. Außerdem sollten Verbraucher und Firmen Energie einsparen. Grimm sagte, ein Signal könnte die Einführung eines generellen Tempolimits auf Autobahnen sein.
Spitzenverbände der Wirtschaft forderten die Bundesregierung zu zielgenauen Hilfen für Firmen auf. DIHK Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben sagte, bereits jedes zehnte Unternehmen berichte laut einer Umfrage von einer deutlich verschlechterten Finanzlage bis hin zur Insolvenzgefahr. «Die deutsche Industrie sieht die Gefahr, dass Unternehmen wegen der Energiepreise oder aufgrund eines russischen Exportstopps von Energierohstoffen in existenzielle Schwierigkeiten geraten», sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Joachim Lang.
Die Bundesregierung arbeitet aktuell an einem Hilfspaket für Unternehmen. Sie hatte bereits Entlastungen angesichts der gestiegenen Energiepreise beschlossen.