In Handschellen landet Hanno Berger dort, wo er auf keinen Fall hinwollte: vor einem deutschen Gericht. Fast ein Jahrzehnt hatte der Architekt der «Cum-Ex»-Steuerdeals in der Schweiz verbracht und sich gegen die Auslieferung nach Deutschland gewehrt – die kam im Februar 2022 dann doch.
Am Montag begann vor dem Bonner Landgericht das erste Strafverfahren gegen «Mr. Cum-Ex». Ein Justizbeamter führte den einstigen Star-Anwalt in den Gerichtssaal und nahm ihm die Handschellen ab. Danach musste sich der 71-Jährige die knapp zweistündige Verlesung der Anklage anhören. Berger ist die Schlüsselfigur in dem größten Steuerskandal der Bundesrepublik.
Bei dem Geschäftsmodell, das seine Hochphase von 2006 bis 2012 hatte, schoben Banken, Händler und Investoren Aktien mit («cum») und ohne («ex») Ausschüttungsanspruch in einem Kreisgeschäft hin und her – es war ein Verwirrspiel rund um den Dividendenstichtag, bei dem der Fiskus keinen Überblick mehr hatte und Kapitalertragssteuer erstattete, obwohl die Investoren die gar nicht gezahlt hatten. Der deutsche Staat büßte Schätzungen zufolge einen zweistelligen Milliardenbetrag ein.
Vielzahl weiterer Verfahren erwartet
Es war ein gewaltiger Schaden für die Allgemeinheit, doch die Aufräumarbeiten kommen voran: Drei Bonner Strafverfahren gegen «Cum-Ex»-Beteiligte endeten 2021 und 2022 in Schuldsprüchen, zudem wertete der Bundesgerichtshof (BGH) die Steuerdeals als Straftat – seither ist klar, dass es nicht bloß eine dreiste Abzocke unter Ausnutzung einer Gesetzeslücke war, sondern ein krimineller Akt. Eine Vielzahl weiterer Verfahren dürfte in den kommenden Jahren die deutschen Gerichte beschäftigen.
Mit Hanno Berger muss sich nun der prominenteste «Cum-Ex»-Verfechter dem Vorwurf stellen, bei der besonders schweren Steuerhinterziehung federführend mitgemischt zu haben. Die Bonner Anklageschrift bezieht sich auf einen Zeitraum von 2007 bis 2013.
Berger soll die Hamburger Privatbank M.M. Warburg zur Aufnahme von «Cum-Ex»-Geschäften bewogen und maßgeblich geholfen haben, die nötigen Strukturen einzurichten. Zudem soll er gutgläubige Investoren eingeworben haben. Dem Fiskus soll damit ein Schaden von 278 Millionen Euro entstanden sein, davon soll auch Berger profitiert haben.
Berger schweigt am ersten Tag
Der 71-Jährige äußerte sich am ersten Verhandlungstag nicht zu den Vorwürfen – das ist nicht unüblich bei Strafprozessen. Gegenüber verschiedenen Medien hatte der Jurist in den vergangenen Jahren von seinem Schweizer Exil aus Vorwürfe der Steuerhinterziehung stets von sich gewiesen. Zudem stellte er sich als Opfer eines deutschen Justizskandals dar: Ihm widerfahre Unrecht, so Berger.
Der Jurist war früher als Bankenprüfer für die hessische Finanzverwaltung tätig, später ging er zu internationalen Kanzleien und wechselte dabei gewissermaßen die Seiten. In der Finanzbranche galt Berger als äußerst fähiger Jurist, dessen Wort viel wert war.
Mitte der Nuller-Jahre vermeinte «Mastermind» Berger in den Winkelzügen des deutschen Steuerrechts Raum für ein florierendes Geschäftsmodell entdeckt zu haben: «Cum-Ex». Jahrelang pries er solche Aktiendeals als rechtlich sicher an. Wurden doch einmal Bedenken laut, so nutzte er seine Kontakte, um solche Kritik als haltlos darzustellen – das ging aus der Anklageschrift hervor.
Auch wenn Berger zu den Vorwürfen schwieg, so wurde doch deutlich, dass der 71-Jährige weiterhin von seiner Unschuld überzeugt ist. Als die in der Materie äußerst erfahrene Staatsanwältin Anne Brorhilker die Anklageschrift verlas, schüttelte Berger immer wieder den Kopf, beschrieb eine Vielzahl von Zetteln und schob diese zu seinen Anwälten, die neben ihm saßen.
Ein großer Umzugskarton
Vor Beginn der Anklageverlesung forderte er zudem einen Karton ein, dessen Inhalt er für den Prozess brauche. Der Vorsitzende Richter war irritiert, bat aber das Justizpersonal, die Unterlagen zu bringen. Nach knapp zehnminütiger Wartezeit wurde ein Behältnis von der Größe eines Umzugskartons hereingeschleppt. Daraus entnahm Berger nach eigenen Worten ein Expemplar der Anklageschrift, das er mit Kommentaren versehen habe.
Die Zuschauer im Raum hätten zu gern gewusst, was Berger wie kommentiert hat – und was sonst noch in dem großen Karton drin war. Doch der restliche Inhalt spielte keine Rolle. Berger schwieg – und nach Ende des Verhandlungstages ging es für ihn wieder zurück in Untersuchungshaft.
Am Vormittag hatten sich drei Vertreter der Zivilorganisation «Bürgerbewegung Finanzwende» vor dem Bonner Landgericht positioniert und auf Transparenten gefordert, alle «Cum-Ex»-Täter vor Gericht zu bringen. Den Bonner Verfahrensbeginn bezeichnete Finanzwende-Referent Konrad Duffy als «Anlass zur Freude»: Es zeige sich, dass «jemand wie Hanno Berger nicht über dem Gesetz steht».
Mit Blick auch auf die anderen Ermittlungen gegen andere Beteiligte sagte er, es sei höchste Zeit, dass sich der Staat als wehrhaft erweise. «Die Finanzverwaltungen müssen möglichst umgehend alle Gelder aus dem größten Steuerraub der deutschen Geschichte zurückholen.»
Auch die Grünen-Bundestagsabgeordnete Lisa Paus zeigte sich erleichtert. «Cum-Ex-Mastermind Hanno Berger sitzt endlich auf der Anklagebank», erklärte sie per Mitteilung und fügte hinzu, dass die strafrechtliche Aufarbeitung des Steuerraubs «weiter mit Volldampf vorangetrieben» werden sollte.