Die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Boris Roessler/dpa)

Man spürt es im Supermarkt, an der Tankstelle, bei den Heizkosten: Die Inflation zieht an, zuletzt auch befeuert durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine.

Lange haben die Zentralbanken an der Überzeugung festgehalten, dass der Anstieg der Preise infolge der Pandemie, aufgrund hoher Energiepreise und stockender Lieferketten nur «vorübergehend» sei. Doch inzwischen ist klar: Sie müssen handeln. Der Internationale Währungsfonds (IWF) fordert die Zentralbanken auf, ihren Kurs «entschlossen» anzupassen. Bundesbank-Chef Joachim Nagel sagt: «Die Geldpolitik ist gefordert.» Doch wann ist der richtige Zeitpunkt für eine Zinswende?

Instrument des Leitzinses

Die Inflation im Zaum zu halten, ist die klassische Aufgabe der Notenbanken. Dafür nutzen die Federal Reserve (Fed) in den USA, die Europäische Zentralbank und andere vor allem das Instrument des Leitzinses. Die vereinfachte Idee: Senken sie den Zins, können sich mehr Privatleute und Unternehmen einen Kredit leisten, was zu höheren Ausgaben, wachsender Wirtschaft und steigender Inflation führt. Andersrum funktioniert es theoretisch, wenn die Zinssätze steigen: Bürger und Wirtschaft leihen sich weniger Geld oder müssen für Kredite mehr ausgeben, das Wachstum nimmt ab, Unternehmen können höhere Preise nicht mehr einfach weitergeben und die Inflation sinkt.

Als die Inflationsraten im Winter anzogen, die wirtschaftlichen Aussichten vor dem Ukraine-Krieg aber noch gut waren, griffen einige Zentralbanken genau zu diesem Mittel: In Großbritannien, Norwegen, mittel- und osteuropäischen Ländern wurden die Leitzinsen erhöht. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine aber hat sich die Wirtschaft eingetrübt, der Inflationsdruck dagegen nimmt zu. Im Euroraum erreichte die Teuerungsrate im März mit 7,5 Prozent den höchsten Stand seit Einführung des Euro 1999.

Warnung vor «Stagflation»

«Damit steht die Geldpolitik vor einem Zielkonflikt zwischen Preis- und Produktionsstabilisierung», betonten führende Wirtschaftsforscher kürzlich. Für die Notenbanken ist es ein Balanceakt: Erhöhen sie die Zinsen zu schnell oder kräftig, könnten Konjunktur und Arbeitsmarkt abgewürgt werden. Finanzminister Christian Lindner (FDP) warnt deswegen bereits vor einer drohenden «Stagflation», jenem toxischen Mix steigender Preise, wirtschaftlicher Stagnation und Arbeitslosigkeit. Würden jetzt auch noch höhere Löhne verhandelt, könne es ganz schnell zu einer gefährlichen Spirale kommen, sagt er.

Unter anderem deswegen sind Europas Währungshüter vorerst vorsichtig mit Zinserhöhungen. Bundesbank-Präsident Nagel wirbt bei der IWF-Frühjahrstagung in Washington für Umsicht. «Eine geldpolitische Vollbremsung wäre hingegen nicht sinnvoll», sagt er. Man dürfe nicht zu hastig an der Zinsschraube drehen. Doch die Europäische Zentralbank (EZB) muss sich wegen ihres Zögerns viel Kritik anhören.

US-Notenbankchef: «Inflation viel zu hoch»

In den USA dagegen geht man forscher zu Werke: Seit Ende 2021 fährt die Fed ihre Krisenprogramme der Corona-Zeit zurück, im März erhöhte sie den Leitzins erstmals seit Beginn der Pandemie – und machte klar, dass das Plus um 0,25 Prozentpunkte nur der Auftakt war. Analysten rechnen bei der nächsten Sitzung am 4. Mai sogar mit einer Erhöhung um 0,5 Prozentpunkte auf eine Spanne von dann 0,75 bis 1 Prozent. An den Märkten werden allein für dieses Jahr Anhebungen von insgesamt mehr als zwei Prozentpunkten erwartet.

Der Druck ist groß, denn die Teuerungsrate in der weltgrößten Volkswirtschaft ist so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr, was die Kaufkraft der Verbraucher schmälert. Im März stiegen die Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahresmonat um 8,5 Prozent – die höchste Inflationsrate seit 1981. Die Fed strebt mittelfristig eine Inflationsrate von zwei Prozent an. «Wir werden die nötigen Schritte unternehmen, um eine Rückkehr zur Preisstabilität zu garantieren», versprach US-Notenbankchef Jerome Powell Ende März. «Der Arbeitsmarkt ist sehr stark, und die Inflation viel zu hoch», fügte er hinzu.

Für die Fed ist es leichter gegenzusteuern als für die EZB, denn die US-Wirtschaft wächst rasch. Die Arbeitslosenquote fiel zuletzt auf niedrige 3,6 Prozent, viele Firmen klagen bereits über einen Mangel an Arbeitskräften. Sollte die Wirtschaft infolge der Zinserhöhungen etwas langsamer wachsen, wäre dies wohl relativ leicht zu verkraften.

In den USA seien die Inflationsrisiken größer als die Gefahr einer Rezession, argumentieren die deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrer gerade vorgelegten Gemeinschaftsdiagnose. In Europa wiederum erholten sich Konsum und Wirtschaft zögerlicher von der Pandemie, weswegen die konjunkturelle Entwicklung weniger widerstandsfähig sei.

Erste Zinsschritte zu Beginn des 3. Quartals in Europa?

Doch auch in Europa zeichnet sich ein Ende der ultralockeren Geldpolitik ab. Nagel stellte in Washington in Aussicht, die EZB könnte ihre Zinsen schon im Juli anheben – früher als bisher gedacht. Erste Zinsschritte seien zu Beginn des dritten Quartals möglich, sagte er. Das könne zwar erst geschehen, wenn die Notenbank kein frisches Geld mehr in Anleihen stecke – so weit sei man aber möglicherweise Ende des zweiten Quartals.

Wie viele Zinsschritte in diesem Jahr zu erwarten sind, wollte Nagel nicht vorhersagen. An den Finanzmärkten wird erwartet, dass die EZB den Einlagensatz, zu dem Banken Geld bei ihr parken können, in diesem Jahr auf Null anheben könnte. Derzeit liegt er bei minus 0,5 Prozent, die Banken müssen also eine Art Gebühr zahlen. Im Juni soll über den künftigen Zinspfad entschieden werden.

Doch auch die wirkungsvollste Waffe im Arsenal der Notenbanken, der Leitzins, kann die Ursachen der aktuellen Preissteigerungen nur begrenzt beeinflussen. Die Unterbrechungen globaler Lieferketten, die weitreichenden Corona-Lockdowns in China, der Krieg in der Ukraine und steigende Energiepreise reagieren nicht direkt auf den Leitzins. Die beste Hoffnung der Notenbanker ist es, dass ihre Entscheidungen dabei helfen werden, die Teuerungsrate langsam wieder zu senken.

Von Theresa Münch und Jürgen Bätz, dpa

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