Die Ärzte mit Farin Urlaub (l-r), Bela B und Rod Gonzales 2016 beim Open-Air-Musikfestival «Jamel rockt den Förster». (Urheber/Quelle/Verbreiter: picture alliance / dpa)

Eine Nummer kleiner hätte die Rückkehr kaum ausfallen können. Für das erste Konzert nach langen Pandemie-Jahren und viel Zeit mit neuen Songs im Studio für gleich zwei Alben steht die Berliner Band Die Ärzte wieder auf der Bühne.

Vor der großen Stadion-Tour durch Deutschland, Österreich und die Schweiz geht es zunächst auch in ganz kleine Läden der Hauptstadt. Gerade mal 120 Fans können beim Auftakt der «Berlin Tour MMXXII» dabei sein. Sie zeigen: Begeisterung braucht nicht viel Platz.

Pogo tanzen auf engsten Raum

Der Samstagabend im Szene-Club «Schokoladen» ist auch eine Rückkehr zu den Wurzeln von vier Jahrzehnten Bandgeschichte. Das Gebäude in Berlins Mitte beherbergte lange Zeit eine Schokoladenfabrikation, es folgten Leerstand, Besetzung als Wohn- und Kulturprojekt, lange Auseinandersetzungen. Seit zehn Jahren ist das Projekt als alternative Kulturstätte gesichert. In solchen Läden begann der steile Aufstieg von Die Ärzte.

Die Fans sind gut drauf, Die Ärzte auch. Die Quadratmeterzahl der Bühne ist knapp zweistellig, nach nicht mal zehn Metern ist die letzte Reihe im Publikum erreicht. Dazwischen beweist jedes härtere Stück von Schlagzeuger Bela B (59), Gitarrist Farin Urlaub (58) und Bassist Rodrigo González (53): Pogo tanzen geht auch auf kleinstem Raum – laut, schnell, hart, Körperkontakt.

Endlich wieder auf der Bühne stehen

«Noise» gibt es schon zu Beginn des zweieinhalbstündigen Konzerts. Das englische Wort für wahlweise Geräusch, Krach oder Lärm klingt im Refrain des neuen Ärzte-Songs eben auch wie: «Es ist Zeit für etwas Neues». Das Lied hat wie der Mega-Hit «Schrei nach Liebe» eine Sonderstellung im Werk der Band: ein gemeinsamer Song von Bela B und Farin Urlaub, beide Lieder nach Jahren der Band-Krise entstanden.

«Der Haussegen hing etwas schief in der Band, jetzt hängt er wieder gerader», berichtet Urlaub den Fans. Im Gegensatz zur ersten Trennung blieb die Band diesmal zusammen, steht nun auch wieder auf der Bühne. Im vergangenen Jahr musste die mit Punkrock bekannt gewordene Band noch coronabedingt eine ausverkaufte Tour zunächst verschieben und schließlich ganz absagen.

Für die Rückkehr haben die drei Musiker fast drei Dutzend Songs mitgebracht. «Wir haben ein paar alte Hits ausgegraben», sagt Bela B, «auch ihr seid älter geworden.» Aus den 80er Jahren ist etwa «Mein kleiner Liebling» dabei oder «Wie am ersten Tag». Weit reichende Textsicherheit beweisen die Fans auch bei späteren Erfolgen wie «Himmelblau», «Junge» oder «Unrockbar».

Das klingt für Farin Urlaub alles so «als hätten wir geprobt». Bela B behauptet: «Wir haben zum ersten Mal drei Wochen geprobt.» Die immer wieder bis in den Unsinn ragenden Bühnendialoge der beiden Musiker sind stilbildend für Konzerte der Band. Es wird viel improvisiert, gealbert, gefragt. «Welche Tonart? In E jetzt?».

Immer wieder gibt es auch kurze musikalische Zitate. «Je t’aime… moi non plus» von Birkin und Gainsbourg spielt an diesem Abend genauso eine kurze Rolle wie Maffays «Und es war Sommer» oder «Du hast» von Rammstein.

Es geht um Unterstützung für die Szene

Viel Platz lässt die selbst ernannte «beste Band der Welt» dem Material der jüngsten Alben «Hell» und «Dunkel», die beide in der Corona-Zeit entstanden und jeweils auf Platz eins der Charts landeten. «Kraft», «Doof», «Schrei», «Dunkel», «Plan B», «Ich, am Strand» werden gefeiert. In «Achtung: Bielefeld», einer Kritik an hipper Langeweile und Überfluss, aktualisiert Bela B die wichtige Textzeile «Aber ich denke, dass eine Mutter in Aleppo sich auch ganz gern mal langweilen würde» mit Kiew als Ort des Grauens. Szenenapplaus.

Die zunächst 13 Konzerte in kleinen Clubs, Hallen sowie auf Open-Air-Bühnen sind nicht nur Vorgeschmack auf die Stadiontour. Es geht für Die Ärzte auch um Unterstützung für eine Szene, in der die Band groß geworden ist und immer noch gefeiert wird. Nicht alle Mega-Hits der langen Jahre passen ins Programm eines Abends. Vor dem «Schokoladen» zieht ein Fan persönliche Konzert-Bilanz: «Kein „Westerland“, kein „Zu spät“, kein „Schrei nach Liebe“ – scheiß drauf, war geil.»

Von Gerd Roth, dpa

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