Schauspielerin Iris Berben beim Filmfestival in Cannes. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Vianney Le Caer/Invision/AP/dpa)

«Normal ist gar nichts im Moment.» Iris Berben bringt es auf den Punkt. Wie fühlt es sich an, an der Côte d’Azur die Filmwelt zu feiern, während nicht weit weg Krieg herrscht?

«Man ist ambivalent mit seinen Gefühlen, mit allem, was gerade parallel in der Welt passiert», beschreibt die Schauspielerin ihr Erleben der diesjährigen Filmfestspiele. «Und Cannes muss sich dadurch jetzt auch nochmal anders politisch verhalten.»

Der Rote Teppich wird gestürmt

Bei einem der weltweit wichtigsten Filmfestivals ist gerade alles anders als je zuvor. Schon während der Eröffnungszeremonie wird überraschend der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj für eine zehnminütige Rede zugeschaltet. Während der Premiere von «Three Thousand Years of Longing» (einem eher unpolitischen Film, in dem es um einen Flaschengeist und das Geschichtenerzählen geht) stürmt eine Frau den roten Teppich, fast nackt, mit den Farben der ukrainischen Flagge bemalt. Und schreit: «Stop Raping Us» – Protest gegen die Vergewaltigung von Kriegsopfern.

Dann wird kurz vor Beginn des Festivals spontan der Film «Mariupolis 2» ins Programm genommen. Der litauische Filmemacher Mantas Kvedaravičius war ins Kriegsgebiet gereist, um den Angriffskrieg zu dokumentieren. Anfang April wurde er während der Dreharbeiten gefangen genommen und ermordet. So berichten es Zeugen, das Filmfestival selbst und seine Verlobte Hanna Bilobrowa, die das Filmmaterial schnitt und nun in Cannes präsentierte.

«Es ist kein Witz, es ist der Tod»

«Mariupolis 2» lässt einen erschüttert zurück. Wo Worte versagen, sprechen die Bilder. Wir sehen Menschen, die sich in dunklen Gängen zusammenkauern. Wir sehen Rauch, der über die Stadt und ihre Ruinen zieht, aus einem kaputten Fenster gefilmt. Die Kamera zittert, und alle paar Sekunden zerschneiden Bomben den Ton. «Es ist kein Witz, es ist der Tod», sagt ein Einwohner.

Auch weitere ukrainische Filmschaffende sind in Cannes. Maksim Nakonechnyi präsentiert dort sein Debüt «Butterfly Vision», das die Geschichte einer ukrainischen Soldatin erzählt, die nach mehreren Monaten Gefangenschaft im Donbass zu ihrer Familie zurückkehrt. Nakonechnyi ist einer der vielen ukrainischen Filmschaffenden, die im Land geblieben sind, um zu dokumentieren, was dort aktuell passiert. Und um es der Welt zu präsentieren, zum Beispiel hier in Südfrankreich.

Das macht auch Dmytro Sukholytkyy-Sobchuk, der mit seinem Film «Pamfir» nach Cannes gekommen ist – und bei der Premiere sagte, er fühle sich «wie ein Alien», weil in Cannes Feuerwerk und Frieden herrsche, während es in seinem Heimatland eine ganz andere Realität gebe.

Das Filmfestival hat auf seinem geschäftlichen Pendant, dem «Marché du film», dieses Jahr die Initiative «Ukraine in Focus» gestartet. Sie soll ukrainische Filmschaffende mit der Industrie vernetzen und unterstützen. EU-Kommissar Thierry Breton hat sich in diesem Rahmen mit 30 ukrainischen Filmschaffenden getroffen, die mit Hilfe der EU an die Côte d’Azur gereist sind.

Ein weiterer Beitrag eines ukrainischen Regisseurs ist «The Natural History of Destruction» von Sergei Loznitsa. Er erzählt von der Zerstörung deutscher Städte durch alliierte Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg, basierend auf Archivmaterial. Der Film wurde vor dem aktuellen Angriffskrieg realisiert, hat nun aber eine besondere Aktualität gewonnen.

«Wenn wir schauen, was gerade passiert, sehen wir, dass die Armeen verschiedener Staaten und die militärische Führung verschiedener Armeen es immer noch für möglich und sogar vernünftig halten, Zivilisten zu attackieren und Städte zu zerstören, auf zivile Infrastruktur zu zielen, um Krieg zu betreiben», sagte Loznitsa dem Magazin «Hollywood Reporter».

Loznitsa wurde von der Filmakademie seines Landes ausgeschlossen, weil er den von der Akademie geforderten vollständigen Boykott russischer Filme nicht unterstützen wollte. Was zu einem prominenten russischen Regisseur führt, der ebenfalls in Cannes vertreten ist. Kirill Serebrennikow präsentiert im Wettbewerb seinen neuesten Film über die desolate Ehe des Komponisten Peter Tschaikowsky und seiner Frau Antonina Miliukova.

Doch auf der dazugehörigen Pressekonferenz geht es weniger um den Film – sondern um die Frage, wer diesen finanziert hat, ob etwa bedenkliche russische Gelder im Spiel waren (Serebrennikows Antwort lautet: Nein). Es geht um den Krieg und wieder um die Frage nach dem Boykott russischer Künstler, den Serebrennikow naturgemäß nicht unterstützt.

Und auch Außenstehende äußern sich in Cannes zum Krieg. Der Regisseur Cristian Mungiu oder der Schauspieler Woody Harrelson zum Beispiel. Wie seltsam, dass neben all diesen Beiträgen und Diskussionen das Festival aber auch weitergeht wie immer. Frauen schreiten in maximalistischen Abendroben über den Teppich. Auf Empfängen wird Champagner getrunken, oder der «Kylie-Minogue-Rosé». Zwei Frauen diskutieren an einer Bar, ob die Haare von Tom Cruise gefärbt sind. Fans ketten ihre Leitern an die Absperrungen, um sich einen guten Platz für Autogramme zu sichern.

Stichwort Tom Cruise: Zur Präsentation des ultimativen Blockbusters auf dem Festival, «Top Gun: Maverick», fliegt tatsächlich die Kunstflugstaffel der französischen Luftwaffe über das Festspielhaus. Eine seltsame Entscheidung, während in Europa ein Angriffskrieg herrscht.

Wie also hält man das aus, diese Gleichzeitigkeit von Krieg und glamourösen Feiern? Bei einer Antwort hilft uns Iris Berben, die wegen ihrer Rolle im Film «Triangle of Sadness» nach Cannes gekommen ist.

«Natürlich stellt man sich die Frage: Was machst du hier?», sagt sie. «Man muss das für sich beantworten, aber sie bleibt ein Widerspruch, das ist klar. Und trotzdem denke ich, dass Kultur, Kunst und Film immer auch ein Bindeglied sind. Es ist immer auch die Möglichkeit, sich miteinander zu verknüpfen.» Damit man nicht in der eigenen Hilflosigkeit stagniere. «Es ist ein Grund, der mir hilft. Ich lebe auch mit diesem Widerspruch, hier zu sein.»

Von Lisa Forster, dpa

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