Die weltgrößte Industriemesse Hannover Messe wird am Sonntag eröffnet. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Julian Stratenschulte/dpa)

Der Krieg in der Ukraine und die handelspolitischen Verwerfungen durch die Energiepreis- und Corona-Krise bestimmen über weite Strecken die Hannover Messe.

Zur Eröffnung am Sonntagabend wurde deutlich: Klimaschutz, Energieeffizienz und digitale Produktion bekommen bei der wichtigsten Industrieschau aktuelle Brisanz – nicht zuletzt wegen der Suche nach alternativen Rohstoffquellen außerhalb Russlands und neuer Debatten über wirtschaftliche Abschottung.

«Eines ist für mich ganz klar: Die Pandemie und der Krieg nehmen der industriellen Transformation nichts von ihrer Dringlichkeit», sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD). «Im Gegenteil. Unabhängig zu werden von fossiler Energie – das ist nicht nur klimapolitisch vernünftig. Das ist angesichts steigender Preise für Gas, Kohle und Öl auch wirtschaftlich vernünftig.» Technologien für eine kohlenstoffärmere Wirtschaft und «intelligente», energiesparende Fertigungsverfahren gehören zu den Themenschwerpunkten der Ausstellung in diesem Jahr.

Scholz erleichtert über Rückhalt der Industrie

Scholz zeigte sich erleichtert, dass die deutsche Industrie hinter den Sanktionen gegen Moskau steht. Die Folgen des Angriffs machten umso deutlicher, dass die wirtschaftliche Transformation und eine Abkehr von fossilen Energieträgern vorangetrieben werden müsse. Dazu seien viele neue Verfahren und Prozesse nötig. «Diese Messe zeigt, dass das geht und dass wir es mit großem Tempo schaffen werden.»

Es bringe jedoch nichts, wenn sich liberale Gesellschaften und Volkswirtschaften in eine Politik der Blockbildung zurückzögen. «Das erleben wir jetzt mit aller Härte: Energieunabhängigkeit ist auch ein Gebot unserer nationalen Sicherheit», betonte der Kanzler. Aber: «Gleichzeitig ist das, was wir heute erleben, ein Zeichen dafür, dass wir miteinander zusammenarbeiten müssen.» Einen Rückfall ins Nationale hielte er für einen gefährlichen Irrweg.

Ähnlich zur Globalisierung äußerte sich Wirtschaftsminister Robert Habeck: «Halten wir uns an ihr fest, richten wir sie aber neu aus. Wir dürfen nicht einkehren in den Sprech eines neuen Nationalismus. Dann landen wir irgendwann bei Brexit und Donald Trump.»

Am Freitag hatten sich die Klima-, Energie- und Umweltminister der G7 zum Ziel bekannt, aus der Kohlestrom-Produktion auszusteigen. Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs suchen viele Länder aber auch nach Alternativen zu russischen Gaslieferungen – und es gibt Stimmen, die ein Gasembargo fordern. Habeck plädierte allgemein zu Vorsicht: «Wenn wir unbedacht handeln, geht viel Kapital verloren. Viele Unternehmen werden die schwierige Situation dann nicht überstehen.»

Einerseits könnte der «grüne» Umbau durch ein rascheres Umschwenken auf regenerative Energiequellen jetzt mehr Fahrt aufnehmen. Auf der anderen Seite setzen viele Länder übergangsweise zumindest teilweise noch auf große Mengen fossiler Rohstoffe wie verflüssigtes Erdgas (LNG). Und gestiegene Energiekosten sowie die nötigen Investitionen für neue Technik drücken auf die Budgets von Firmen und Verbrauchern.

«Wir versuchen, die größten Belastungen abzufedern», sagte Scholz – «mit Krediten, Zuschüssen und gezielten Entlastungspaketen, etwa für energieintensive Unternehmen.» Trete man der Politik von Russlands Präsident Wladimir Putin nicht entschlossen entgegen, sei «der Preis, den wir alle miteinander zahlen würden», aber noch höher.

Scholz räumte ein, dass nun auch der Modernisierungsbedarf in der Verwaltung stark hervortrete. Oft bremsen lange Verfahrensdauern etwa Windkraft-, Solarstrom- oder Stromtrassenprojekte aus. «Wir werden die Zeiten für Verwaltungs-, Planungs- und Genehmigungsprozesse beschleunigen, mindestens halbieren», kündigte er an. So sollen erste schwimmende LNG-Terminals schon zum Jahreswechsel fertig sein. Etliche Umweltschützer kritisieren die verkürzten Prüfungsroutinen.

Industrie fordert schnellere Verwaltung

Die deutsche Industrie forderte vor dem Start der Messe effizientere, schnellere und mehr digitale Verwaltungsvorgänge. «Es gibt viele Länder, die schlechter sind als wir, aber auch Länder, die besser sind», sagte der Präsident des Branchenverbandes BDI, Siegfried Russwurm. «Seit 15 Jahre rede ich jetzt schon über eine elektronische Gesundheitskarte. Ich komme mir schon vor wie ein Zombie.»

Der BDI hält trotz des Ukraine-Krieges in der deutschen Industrie 2022 ein Exportwachstum von 2,5 Prozent für möglich. Dies sei jedoch abhängig von einer Linderung der Probleme in den Lieferketten sowie dem Verzicht auf ein Gasembargo, sagte Russwurm dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Klar sei bei alldem, dass die Führung in Moskau die Verantwortung für die Lage trage. Er habe viele Partner in dem Land kennengelernt. Nun sei Russland aber «disqualifiziert über eine Zeit, die wir noch gar nicht absehen können».

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