Die Menschen in Deutschland müssen sich nach Einschätzung des Privatbankenverbandes BdB langfristiger auf höhere Teuerungsraten einstellen.
«Wegen statistischer Basiseffekte bei den Energie- und Rohstoffpreisen sollte die Inflationsrate im weiteren Jahresverlauf zwar wieder etwas sinken. Mit Raten von über 3 Prozent dürften die Verbraucherpreise aber auch im Durchschnitt des kommenden Jahres deutlich über dem 2-Prozent-Ziel der Europäischen Zentralbank liegen», schreibt der Bundesverband deutscher Banken (BdB) in einer aktuellen Analyse, die am Donnerstag veröffentlicht wurde.
Im Mai war die jährliche Teuerungsrate nach vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes auf 7,9 Prozent gesprungen. Inflationsraten auf diesem Niveau gab es im wiedervereinigten Deutschland noch nie, in den alten Bundesländern zuletzt im Winter 1973/1974. Damals waren die Mineralölpreise infolge der ersten Ölkrise stark gestiegen. Höhere Inflationsraten schmälern die Kaufkraft von Verbrauchern, weil sie sich für einen Euro dann weniger leisten können.
Deutlich höhere Trendrate
Nach BdB-Einschätzung werden «zunehmend strukturelle Änderungen die Preisentwicklung in den nächsten Jahren prägen»: Arbeitskräftemangel, Umbau der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit sowie Neuausrichtung der globalen Produktions- und Lieferketten. «Es spricht daher vieles dafür, dass sich die Inflationsraten in Deutschland und in der Eurozone in den kommenden Jahren mit einer deutlich höheren Trendrate entwickeln werden als in den vergangenen zwei Dekaden.»
Die Europäische Zentralbank (EZB), die für den gesamten Euroraum mittelfristig stabile Preise bei einer Teuerungsrate von zwei Prozent anstrebt, hat sich nach langem Zögern zum Handeln entschlossen. Die Notenbank hat in Aussicht gestellt, mit zwei Zinsschritten im Juli und September dieses Jahres die derzeit negativen Einlagenzinsen von minus 0,5 Prozent zu beenden. Mit höheren Zinsen kann steigende Inflation bekämpft werden.
Der BdB fordert von der EZB mehr Tempo bei der Zinswende. «Die hohe Inflation belastet die Verbraucher und verunsichert die Wirtschaft. Auch die Inflationserwartungen steigen deutlich. Zu dieser Lage passt ein negativer Leitzins schon lange nicht mehr», sagte BdB-Hauptgeschäftsführer Christian Ossig der Deutschen Presse-Agentur. «Die EZB sollte die Negativzinspolitik mit einem großen Zinsschritt von 50 Basispunkten noch vor der Sommerpause im Juli beenden. Das wäre ein wichtiges Signal an Verbraucher und Tarifparteien.»
EZB-Chefvolkswirt Philip R. Lane hat Hoffnungen auf ein schnelleres Ende der Negativzinsen im Euroraum allerdings bereits gedämpft. «Was wir derzeit sehen, ist, dass es angemessen ist, die negativen Zinssätze bis zum Ende des dritten Quartals abzubauen, und dass der Prozess schrittweise erfolgen sollte», sagte Lane der spanischen Zeitung «Cinco Días». Üblicherweise erfolge die Normalisierung in Schritten von 25 Basispunkten, so dass Zinserhöhungen um 0,25 Prozent auf den Sitzungen des EZB-Rates im Juli (21.7.) und September (8.9.) einen Richtwert darstellten, erklärte Lane in dem Interview.