Ein Rammstein-Konzert lässt sich auch fühlen. Die Musik im Berliner Olympiastadion ist von einer derartigen Lautstärke, dass die Bässe selbst das alte Mauerwerk vibrieren lassen.
Optisch ist für die gut 66.000 Fans während des gut zweistündigen ausverkauften Konzertes ständig etwas zu entdecken zwischen Lichtspektakel und Feuersäulen. Fans, die das nicht oder nur stark eingeschränkt sehen können, eröffnet die gefeierte Band einen besonderen Zugang. Vor der Show führt Gitarrist Paul Landers (57) fünf von ihnen durch die mit Spezialeffekten gespickte Bühnenwelt.
«Ich bin Paul, Gitarre, links», stellt sich Landers mit Hinweis auf Instrument und seiner Position auf der Bühne vor, während gerade noch Bassist Oliver Riedel (51) vorbeischlendert. Landers beschreibt, was andere nicht oder kaum sehen können.
Blinde und Sehbehinderte eingeladen
Die riesige Bühne beansprucht zusammen mit den anderen Showbestandteilen den Platz von 80 Trucks. Für die Tour durch Europa und Nordamerika braucht Rammstein zwei Versionen davon. Während die Gruppe in Berlin spielt, wird das Gegenstück in Stuttgart aufgebaut.
Bei der Bühnen-Expedition mit dabei ist Oliver Bormann, der seit Jahren Rammstein-Musik hört. «Ich kann seit einer Woche nicht mehr schlafen», umschreibt der 44-Jährige die Zeit, seit die Band über soziale Netzwerke Blinde und stark Sehbehinderte einlud, die Bühne im Wortsinn zu erfassen. Auch der aus Bielefeld angereiste Markus Schlaack betastet die massive Stahlstütze, an der Landers den Aufbau erläutert: «Die Bühne muss heute halten, morgen ist uns ganz egal.»
Jasmin Wenz umarmt derweil die riesigen Schläuche für die Nebeleffekte, um deren Dimensionen besser erfassen zu können. Es ist bereits das dritte Rammstein-Konzert für die 44-Jährige, diesmal mit auch für sie aufregendem Vorspiel auf der Bühne. Aus der Gruppe kommen immer wieder Fragen zu Showteilen wie Feuer oder Böllern. «Wir haben alles im Effektregal ausgeräumt», schildert der Gitarrist.
Kopf einziehen
Im Bereich der flachen Unterbühne müssen einige den Kopf einziehen. Direkt darüber stehen die Drums von Schlagzeuger Christoph Schneider (56). «Unter der Bühne ist es nicht so hoch», erläutert Landers. «Schneider sagt, er will nicht auf dem Brandenburger Tor sitzen.»
Die Berlinerin Kerstin Saeger hat inzwischen den kleinsten von drei Flammenwerfern in den tastenden Händen. Sänger Till Lindemann (59) versucht damit beim Song «Mein Teil», den Keyboarder Christian «Flake» Lorenz (55) «weich zu kochen». Um das feuerfeste Gefäß, in dem Lorenz dann steckt, geht es jetzt. «Habt ihr alle den Kessel angefasst?», fragt Landers. Stefen Kuhnert hat ganz offensichtlich. Mit der Hand schmiert sich der 69-Jährige, der durch seine Tochter auf Rammstein-Geschmack gekommen ist, etwas vom Ruß ins Gesicht.
Schnell werden noch ein paar Hände gelegt an das kühle Aluminium des riesigen Kinderwagens, in dem es später beim Song «Puppe» lichterloh brennen wird. Die Bühne wartet. «Bitte nicht winken, das machen wir dann nachher beim Konzert», sagt Landers beim Schritt auf die fahrbaren Rampe. Die Gruppe betastet das Gitter des Bühnenbodens, das Material wird sonst auf Ölplattformen eingesetzt. «Das fühlt sich sehr rauh an», schildert Jasmin Wenz ihre Eindrücke. «Da darf man nicht hinfallen, das tut sonst bestimmt ziemlich weh.» Landers kann das nur bestätigen.
Wärme der Feuereffekte spüren
Mit einem sehr langgezogenen «Yeeaaaah» fasst Ann-Kathrin Haase ihre Eindrücke von der Bühne zusammen. Die 27-Jährige ist mit ihrem Bruder aus dem Vogtland zu dem Konzert gekommen. Wie die anderen der Gruppe wird sie beim Auftritt neben der Lautstärke die immense Wärme der Feuereffekte als besonders intensiv empfinden.
Für die mit ihrem martialischen Auftreten, den mitunter brutalen Riffs ihrer Songs und einer gern zelebrierten Liebe zum Tabubruch als besonders hart geltenden Musiker ist soziales Engagement nicht ungewöhnlich. Sänger Lindemann etwa tauchte im März unangekündigt am Berliner Hauptbahnhof auf, um bei der Verteilung von Hilfen an erste Ukraine-Flüchtlinge anzufassen. Häufig schwenken die Musiker die Regenbogenfahne, wenn sie wie auch wieder in Berlin in Schlauchbooten auf den Händen ihrer Fans durchs Stadion gereicht werden.
International erfolgreich
22 Songs hat die Band für ihr Heimspiel auf der Setlist. Die sechs Musiker leben in der Hauptstadt. Hier fanden sie 1994 zusammen und haben sich seitdem mit ihrem harten Sound zur international erfolgreichsten deutschen Band entwickelt. «Zuhause ist es doch am schönsten», sagt Lindemann bei einer seiner extrem seltenen Bühnenansagen.
Nach zwei Konzerten in Leipzig und den beiden Auftritten in Berlin sind in Deutschland noch Konzerte vorgesehen in Stuttgart (10./11. Juni), Hamburg (14./15.) und Düsseldorf (18./19.). Die Band spielt bei der zweimal coronabedingt verschobenen Tour 42 Konzerte in Europa und Nordamerika. Beim ersten Teil besuchten 2019 mehr als eine Million Fans die 30 Shows, davon zehn Auftritte in Deutschland.
Vier Lieder stammen vom Ende April veröffentlichten Erfolgsalbum «Zeit», das Rammstein umgehend auf Platz eins der Charts katapultierte. Neue Lieder wie «Zick Zack», «Armee der Tristen», «Adieu» und den Titelsong «Zeit» haben die Musiker in das Programm integriert. Von den Fans ekstatisch gefeiert werden auch Rammstein-Knaller wie «Sonne», «Du hast», «Mein Herz brennt», «Mein Teil» oder «Deutschland». Dazu donnert, kracht, blitzt und explodiert es an allen erdenklichen Stellen des gigantischen Bühnenaufbaus – den fünf Fans der Band nun etwas genauer kennen.