Im VIP-Bereich des Münchner Olympiastadions hängt ein großes Foto von Mick Jagger. Es ist Teil einer kleinen Ahnengalerie, die zeigt, wer dort schon alles aufgetreten ist in den 50 Jahren, die das Stadion in diesem Jahr feiert.
Doch auf der Bühne dahinter zeigt Jagger Jahrzehnte nach Aufnahme dieses Fotos, dass er in einer Ahnengalerie eigentlich noch gar nichts zu suchen hat.
Die Rolling Stones sind wieder da: Am Sonntagabend geben sie ihr erstes von zwei Deutschland-Konzerten im Münchner Olympiastadion, und von der Kraft der jungen Jahre ist – so scheint es zumindest – kaum etwas auf der Strecke geblieben. «It’s good to be back» (Es ist gut, wieder da zu sein), sagt Keith Richards.
Mehr als zwei Stunden lang rocken er, der inzwischen 78 Jahre alt ist, der gleichaltrige Frontmann Jagger und das Bandküken Ronnie Wood (75) so energiegeladen über die Bühne, dass sich auch die ein oder andere jüngere Band davon ruhig eine Scheibe abschneiden könnte.
Jagger plaudert über Bier und Bikinis
«Servus Minga», begrüßt Jagger sein Publikum in der Landessprache – und erzählt später in fehlerfreiem Deutsch, dass er im Englischen Garten gewesen sei und dort ein Bier getrunken habe. «Wir haben viel Spaß in München», sagt er. Bilder von seinem Bier und von einer regelrechten Touristen-Tour durch München hatte er zuvor bei Instagram gepostet: Jagger im Biergarten, Jagger auf der Leopoldstraße, Jagger vor der Staatsoper und vorm Friedensengel. «Prost München», schrieb er unter ein kleines Video von sich und einer Maß Bier. Bikiniwetter sei da gewesen am Vortag, sagt er auf der Bühne – aber: «nicht viele Bikinis heute Abend».
Wegen eines heftigen Gewitters mit sintflutartigen Regenfällen verzögerte sich der Start des Konzerts. Doch kurz nachdem die Briten dann die Bühne betreten, kommt sogar die Abendsonne noch ein wenig durch und es bleibt trocken, zumindest was den Regen angeht.
Stones geben alte Klassiker zum Besten
In den Augen einiger Fans schimmert es hier und da verräterisch während des Konzerts, das nicht nur energie-, sondern auch emotionsgeladen ist – mit vielen alten Hits wie «Honky Tonk Women», «Jumpin‘ Jack Flash», «Ruby Tuesday» und – ganz zum Schluss – «(I can’t get no) Satisfaction». Zu «Gimme Shelter» (Gebt mir Schutz) werden – unter einem im ukrainischen Gelb-Blau angestrahlten Olympiaturm – Bilder von Krieg und Zerstörung in der Ukraine gezeigt.
Wie schon beim Auftakt ihrer Europa-Tournee zum 60. Bandjubiläum vor wenigen Tagen in Madrid beginnt auch das Münchner Konzert mit einer Hommage an und vielen Bildern von Charlie Watts, dem im vergangenen Jahr gestorbenen Schlagzeuger der Band. «Es ist unsere erste Europa-Tour ohne Charlie», sagt Jagger. «Wir vermissen ihn sehr.»
Ist es die letzte Tournee?
Am Schlagzeug sitzt wieder Steve Jordan (65). Das Multitalent aus New York – nicht nur Schlagzeuger, sondern auch Musikdirektor, Produzent und Songwriter – war bereits im vorigen Herbst auf der US-Tour «No Filter» mit dabei. Richards sagte über ihn jüngst im «Rolling Stone»-Podcast: «Ich denke, Steve Jordan ist damit aufgewachsen, Charlie Watts zuzuhören und ihn zu bewundern. Und ich meine, manchmal kann Steve mich täuschen und ich denke, es ist Charlie.»
Kurz vor dem Start der Jubiläumstournee sprach Gitarrist Ronnie Wood in einem Interview von einem möglichen Abschied der legendären Rockband von der großen Bühne. Er brauche im Sommer seine volle Energie, sagte Wood der spanischen Ausgabe des «Esquire»-Magazins. «Schließlich stehen wir vor der letzten Tournee.» Darauf angesprochen, was er damit meine, ruderte Wood allerdings ein wenig zurück. «Na ja, jede Tournee ist die letzte. Man weiß nie, was als nächstes passiert.»
Das 116. Deutschlandkonzert der Stones sei es, sagt Jagger irgendwann in der Mitte des Konzerts zu den Fans der Band. «Danke, dass Ihr wieder dabei seid.»