Der russische Energiekonzern Gazprom hat wie angekündigt in der Nacht zum Donnerstag seine Gaslieferungen nach Deutschland durch die Ostseepipeline Nord Stream weiter reduziert.
Wie aus im Internet veröffentlichten Transportdaten des Pipelinebetreibers Nord Stream hervorgeht, sank die Gasmenge von Mittwochabend an. Am Morgen erreichte die Liefermenge – hochgerechnet auf 24 Stunden – in etwa die von Gazprom angekündigten 40 Prozent der technischen Kapazität.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nannte die Situation ernst. Seinem Ministerium zufolge aber ist die sichere Versorgung mit Gas aber weiter gewährleistet. «Aktuell können die Mengen am Markt beschafft werden, wenn auch zu hohen Preisen. Es wird aktuell noch eingespeichert», teilte eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums am Donnerstag auf Anfrage mit. «Die Versorgungssicherheit ist gewährleistet.» Das Ministerium beobachte die Dinge aber sehr genau und sei über die Krisenstrukturen in engstem Austausch mit den relevanten Akteuren. Die Drosselung der Gasmenge fällt zusammen mit dem Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in Kiew.
Scholz traf am Donnerstagmorgen gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem italienische Ministerpräsidenten Mario Draghi in Kiew ein. Dort wollen sie mit Präsident Wolodymyr Selenskyj unter anderem über weitere Unterstützung für das von Russland angegriffene Land sprechen.
Seit 23 Uhr am Mittwochabend ist in den Daten von Nord Stream ein Rückgang der Gas-Liefermenge durch die Ostseepipeline zu verzeichnen. Am Morgen, zum Beginn des sogenannten Gastages um 6 Uhr, lag die stündliche Gas-Liefermenge über die Ostseepipeline bei rund 2,6 Millionen Kubikmeter (29 Millionen Kilowattstunden), von 8 bis 11 Uhr flossen den Angaben nach stündlich rund 2,7 Millionen Kubikmeter (30 Millionen Kilowattstunden).
Der russische Energieriese Gazprom hatte am Mittwoch angekündigt, die Gasliefermengen durch Nord Stream 1 nach Deutschland erneut zu reduzieren. Von der Nacht zum Donnerstag an sollten täglich nur noch maximal 67 Millionen Kubikmeter durch die Leitung gepumpt werden. Erneut begründete der Staatskonzern den Schritt mit Verzögerungen bei Reparaturarbeiten.
Bereits am Dienstag hatte Gazprom die Reduktion des bisher geplanten Tagesvolumens von 167 Millionen um rund 40 Prozent auf 100 Millionen Kubikmeter Gas pro Tag verkündet und auf Verzögerungen bei der Reparatur von Gasverdichtern verwiesen. Der Energietechnikkonzern Siemens Energy hatte daraufhin mitgeteilt, dass eine in Kanada überholte Gasturbine aufgrund der Russland-Sanktionen derzeit nicht aus Montréal zurückgeliefert werden könne. Die neuerliche Reduktion auf 67 Millionen Kubikmeter bedeutet eine Drosselung um rund 60 Prozent innerhalb von zwei Tagen.
Angesichts dieses Rückgangs rief Wirtschaftsminister Habeck erneut zum Energiesparen auf. In einem am Mittwochabend über Twitter verbreiteten Video dankte der Grünen-Politiker der Bevölkerung und den Unternehmen für ihre bisherigen Bemühungen. Habeck appellierte mit Blick auf das Energiesparen zugleich: «Es ist jetzt der Zeitpunkt, das zu tun. Jede Kilowattstunde hilft in dieser Situation.»
Habeck mahnte: «Wir müssen wachsam sein. Wir müssen konzentriert weiterarbeiten. Vor allem dürfen wir uns nicht spalten lassen. Denn das ist das, was Putin vorhat.» Entgegen der Darstellung Gazproms, der Grund für die Drosselung seien Verzögerungen bei Reparaturarbeiten, vermutet Habeck dahinter eine politische Entscheidung.
Schritt «technisch nicht zu begründen»
Auch die Bundesnetzagentur und nannte das Vorgehen Moskaus «technisch nicht zu begründen». Dass Gazprom seine Lieferungen durch Nord Stream 1 nun auf etwa 40 Prozent senkt, ist aus Sicht des Präsidenten der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, ein Warnsignal. «Russland schürt damit leider Verunsicherung und treibt die Gaspreise hoch», sagte er der «Rheinischen Post» (Donnerstag).
Wenn Gazprom über Wochen nur 40 Prozent durch Nord Stream 1 liefere, bekomme Deutschland ein Problem, sagte Müller: «Das würde unsere Situation erheblich verschlechtern. Über den Sommer könnten wir das vielleicht aushalten, denn die Heizsaison ist ja vorbei. Allerdings müssen wir jetzt zwingend die Speicher füllen, um den Winter zu überstehen – auch mit russischem Gas.»
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine Ende Februar gilt die Versorgung Europas mit Gas aus Russland als gefährdet. Deutschland und andere europäische Staaten versuchen seitdem, ihre Abhängigkeit von russischen Gas zu verringern, indem sie mehr Gas aus anderen Staaten beziehen.
Lieferung in mehrere Länder bereits eingestellt
Polen, Bulgarien, Finnland, die Niederlande und Dänemark erhalten bereits kein Gas mehr aus Russland. Kremlchef Wladimir Putin hatte Ende März ein neues Zahlungssystem angeordnet – als Reaktion auf die Sanktionen des Westens im Zuge von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Das Verfahren sieht vor, dass Kunden bei der staatlichen russischen Gazprombank ein sogenanntes K-Konto eröffnen. Dort können sie wie bisher ihre Rechnungen in Euro oder Dollar begleichen, die Bank konvertiert das Geld in Rubel und überweist es an Gazprom. Polen, Bulgarien, Finnland, die Niederlande und Dänemark aber weigerten sich, auf das neue Schema umzusteigen.
Für Deutschland ist Nord Stream 1 die Hauptversorgungsleitung mit russischem Gas. Zuvor war schon die Leitung Jamal-Europa, die durch Polen führt, nicht mehr befüllt worden. Den Transit über die Ukraine hatte Gazprom bereits Mitte Mai gedrosselt. Auch am Donnerstag werden den Daten des staatlichen Gasnetzbetreibers zufolge nur etwas weniger als 40 Prozent der vertraglich vorgesehenen 109 Millionen Kubikmeter Erdgas nach Westen fließen. Unter anderem durch die bisherigen Einschränkungen hatten sich die Energiepreise erhöht, weil insgesamt weniger Gas von Russland nach Europa fließt.