Nach Verhandlungen fast rund um die Uhr haben die 164 Mitgliedsländer der Welthandelsorganisation (WTO) erstmals seit Jahren wieder Abkommen unter Dach und Fach gebracht.
Sie einigten sich unter anderem auf Vereinbarungen, um die Herstellung von Covid-Impfstoffen in mehr Ländern zu ermöglichen und um Subventionen für illegale und unregulierte Fischerei zu verbieten und damit die überfischten Bestände zu schützen. Eine geplante Vereinbarung über den Agrarhandel kam dagegen nicht zustande. Umwelt- und Entwicklungsorganisationen kritisierten das neue Abkommen als unzureichend.
«Sie reisen nicht mit leeren Händen nach Hause», sagte WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala zum Abschluss der Tagung, die schon am Mittwoch zu Ende gehen sollte. Mangels Einigung hatte die 68-Jährige auf eine Verlängerung gedrängt, weil sie ihre erste Ministertagung nicht als Flop akzeptieren wollte. «Die WTO hat demonstriert, dass sie in der Lage ist, auf die Herausforderungen unserer Zeit zu reagieren.»
Ungewöhnliche Feierstimmung
Bei der Abschlusssitzung der Regierungsvertreter um 05.00 Uhr morgens kam nicht nur langer Applaus auf, als der Konferenzvorsitzende formell feststellte, das alle Mitgliedsländer die Vereinbarungen mittragen. In dem vollgepackten Raum kam auch Feierstimmung auf: Ministerinnen und Minister sowie Beamte und Diplomaten stimmten spontan ein nachträgliches Geburtstagsständchen für Okonjo-Iweala und einen weiteren Minister an. Sie war an ihrem eigentlichen Ehrentag, am Montag, nach eigenen Angaben nicht in Feierlaune gewesen, weil sie ein Scheitern der Konferenz fürchtete.
Vertreter der Zivilgesellschaft stimmten nicht in den Applaus ein. «Es ist beschämend, dass die WTO-Mitglieder dem Versuch, eine strauchelnde Institution und obszöne Unternehmensgewinne zu retten, Vorrang gaben vor der Rettung von Menschenleben», meinte Melinda St. Louis von der Organisation Public Citizen. Besonders die EU habe eine von zahlreichen Ländern geforderte Aufhebung von Patentrechten (TRIPS waiver) blockiert. Die getroffene Vereinbarung reiche nicht.
Die Minister einigten sich auch darauf, die WTO-Reformen mit einem Arbeitsprogramm anzuschieben. Der teils brach liegende Streitschlichtungsmechanismus soll in zwei Jahren wieder funktionieren. Sie verlängerten eine Vereinbarung, vorerst keine Zölle im internationalen digitalen Handel zu erheben.
Sie stimmten zudem zu, dass Einkäufe des Welternährungsprogramms (WFP), das Hungernden in aller Welt mit Nahrungsmitteln hilft, nicht durch Ausfuhreinschränkungen behindert werden sollen. Allerdings ließen sie gleichzeitig das Türchen offen, genau dies zu tun, wenn es dazu dient, die eigene Bevölkerung adäquat zu versorgen.
rganisationen kritisieren neues WTO-Abkommen
Die teils wenig konkreten Formulierungen, die viel Spielraum für Interpretationen zulassen, waren ein Zeichen für die oft kniffligen Verhandlungen. Neben den Einzelvereinbarungen gab es eine allgemeine Abschlusserklärung mit diffusen Versprechungen wie diesen:. «Wir bekennen uns dazu, auf nötige Reformen in der WTO hinzuarbeiten. (…) Nach unserer Vorstellung sollen die Reformen alle Funktionen verbessern.» Sie verstehe bis heute nicht, wie man stundenlang über ein einzelnes Wort in einer Fußnote debattieren könne, sagte Okonjo-Iweala unter dem Gelächter der Ministerinnen und Minister.
Greenpeace-Experte Jürgen Knirsch kritisierte, «alle strittigen Themen wie Landwirtschaft, Fischerei, E-Commerce und TRIPS haben Auswirkungen auf Umwelt und Klima. Aber Klimaschutz und die Erhaltung der Artenvielfalt tauchten in den Verhandlungen so gut wie gar nicht auf». Aus Sicht von Nelly Grotefendt, Referentin für Handelspolitik beim Forum Umwelt und Entwicklung, kamen auch gesundheitliche Themen zu kurz. Gerade für den Bereich globale Gesundheit in Zeiten einer Pandemie sei das Ergebnis besonders ernüchternd. Die Organisation Brot für die Welt kritisierte, es gebe keine konkreten Vorschläge, wie Entwicklungsländer unabhängiger von Nahrungsimporten werden. «Im Mittelpunkt der Erklärung zur Ernährungssicherheit steht wieder mal der altbekannte Aufruf zur Vermeidung von Exportrestriktionen», sagte Francisco Mari, Agrarhandelsexperte der Organisation.