Matti Schurr, CEO und Co-Founder von Avocargo. Das Berliner Start-Up bietet E-Lastenräder in Berlin an und will sein Angebot in diesem Jahr auf andere Städte ausweiten. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Fabian Sommer/dpa)

Es gibt sie mit Muskel- oder Elektrokraft betrieben, sie haben eine große Transportfläche, dazu tragen sie oft ausgefallene Namen wie «Ritterkutsche» oder «Wilde Hilde»: Leih-Lastenräder sind immer wieder auf den Straßen deutscher Großstädte zu sehen. Wie zum Beispiel die mehr als 200 E-Lastenräder des Start-ups Avocargo in Berlin. Im Frühjahr 2021 wurde das junge Unternehmen gegründet – und will in den kommenden Jahren nun sein Angebot auf 40.000 elektrobetriebene Transporträder in weiteren Städten ausweiten.

Denn der Markt wächst und wird es in Zukunft auch definitiv weiter tun, glaubt Avocargo-Mitgründer Matti Schurr in Berlin. «Lastenräder sind ganz stark ein urbanes Phänomen im Moment». Per App können sich Menschen das Transportmittel kostenpflichtig rund um die Uhr ausleihen und an einem beliebigen Ort in einem festgelegten Bereich wieder abstellen. Auch die Zahl der verkauften Lastenräder ist laut Angaben des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV) im vergangenen Jahr auf knapp 170.000 (2020: 103.200) gestiegen.

Experte: Großes Interesse bei den Kommunen

Doch nicht nur kommerzielle Anbieter wie Avocargo, sondern auch das Unternehmen Sigo aus Darmstadt oder zahlreiche kostenlose Initiativen wollen das Projekt «Leih-Lastenrad» vorantreiben. Auch die Kommunen selbst interessieren sich immer mehr für das alternative Verkehrsmittel, sagt Marco Walter von der «Transportrad Initiative Nachhaltiger Kommunen» (TINK). Das Unternehmen berät Städte und Gemeinden, die Lastenräder auf die Straßen bringen wollen, und hilft bei den Ausschreibungen. «Der Trend zeigt ganz klar nach oben», sagt Walter.

Aktuell werden demnach 32 Kommunen beraten, darunter zum Beispiel Hannover oder Dortmund. 25 Kommunen tauschen sich in einem Netzwerk von TINK aus, das vom Bundesverkehrsministerium unterstützt wird. Es sei im Vergleich zu 2021 um 28 Prozent im ersten Halbjahr dieses Jahres gewachsen. «Lastenrad-Sharing hat sich als wirkungsvoller Beitrag für die kommunale Verkehrswende bewiesen», findet Walter. Städte kämen gleich bei mehreren politischen Zielen weiter, wie etwa beim Klimaschutz oder der Verkehrsentlastung.

Köln will «Lastenradhauptstadt» werden

Erst kürzlich hatte die Stadt Köln erklärt, «Lastenradhauptstadt» werden zu wollen und ein zweijähriges Pilotprojekt für ein Verleihsystem angekündigt. Im bayrischen Lindau werden laut Walter momentan die Räder der Firma Sigo ausprobiert, in Konstanz in Baden-Württemberg übernehme ein regionaler Fahrradhändler den Betrieb. Und auch der Radverleiher Nextbike bietet eigenen Angaben nach in zehn Städten das Transportmittel an, drei weitere Kommunen seien in Planung.

Die Beispiele zeigen: Kommunen haben ein Interesse daran, ihre Städte attraktiver zu machen, sagt Arne Behrensen, Geschäftsführer von cargobike.jetzt – einer Agentur und Projektschmiede zur Förderung von Lastenrädern. Die Transporträder hätten ein großes Potenzial, Autofahrten langfristig zu ersetzen.

Vor allen ein Phänomen in Städten

Das sieht Schurr von Avocargo auch so: Viele Nutzerinnen und Nutzer erledigen Fahrten mit dem Rad, die sie sonst mit dem Auto machen würden – zum Beispiel den Wocheneinkauf. Ein Imker in Berlin transportiere regelmäßig seine Bienenstöcke, manch einer bringe auch Möbel auf der Transportfläche unter. «Wir müssen an den Punkt kommen, wo Lastenräder am Ende Mainstream sind», findet Schurr. Besonders in ländlichen Gebieten sei noch immer eher das Auto im Alltag präsent – denn dort sind in der Regel die Entfernungen für Transporte länger, was für das Auto spricht. Bisher sind Lastenräder ein Phänomen vor allem der Städte.

Vor allem auf dem Land und in kleineren Städten wollen deshalb auch zahlreiche kostenfreie Initiativen weiter Schwung in ihr Angebot bringen. Das Lastenrad ist besonders durch solche lokale und ehrenamtliche Netzwerke bekannt geworden, die sich quer durch Deutschland im «Forum freie Lastenräder» (FFL) zusammengeschlossen haben. Werden sie jetzt durch kommerzielle Anbieter abgelöst?

«Ganz im Gegenteil», sagt Peter Eckhoff vom FFL. «Wir freuen uns über jedes Lastenrad, das Autofahrten ersetzt». Trotz der Kommerzialisierung erwarte das Forum, dass freie Lastenräder in kleineren Städten und auf dem Land oft das einzige Angebot bleiben – und sich Start-ups eher in Großstädten tummelten.

Außerdem seien die Nutzergruppen teilweise verschieden: Während sich Menschen bei den Unternehmen recht schnell per App ein Rad buchen könnten, stünde bei ehrenamtlichen Initiativen besonders der persönliche Austausch im Vordergrund: Menschen müssten sich das Lastenrad zunächst an bestimmten Standorten ausleihen, wo Mitarbeiter ihnen zum Beispiel noch einmal das Fahrzeug erklären. Das sei für einige Nutzer wichtig, sagt Eckhoff. Somit ergänze man sich gut.

Von Sabrina Szameitat, dpa

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