Die Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1 im mecklenburgischen Lubmin. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Jens Büttner/dpa)

Russlands Energieriese Gazprom will sich nicht festlegen zur Zukunft der Energieversorgung in Deutschland und in den anderen EU-Staaten. Die Wartungsarbeiten an der Ostseepipeline Nord Stream 1 – der wichtigsten Versorgungsleitung von Russland nach Deutschland – sollen zwar an diesem Donnerstag (21. Juli) abgeschlossen sein.

Aber es fehlt weiterhin eine wichtige Turbine, die Kanada lange wegen der Sanktionen nach Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine zurückgehalten hat. In Russland erwartet niemand, dass sie bis zum letzten Wartungstag wieder eingebaut ist. Für die Gasversorgung in Deutschland und Europa hat das Folgen.

«Davon hängt die verlässliche Arbeit der Gasleitung Nord Stream und die Versorgung der europäischen Verbraucher ab», teilte Gazprom am Wochenende mit. Das Unternehmen beklagt, es gebe vom deutschen Konzern Siemens Energy keine Dokumente, die eine Rückkehr der Gasturbine bestätigten. Siemens Energy wollte am Montag keine Angaben zum Stand der Dinge machen. Es bleibe dabei, «dass es unser Ziel ist, die Turbine so schnell wie möglich zu ihrem Einsatzort zu transportieren».

Sie ist laut Gazprom für die Kompressorstation Portowaja wichtig, die wiederum für den Betrieb von Nord Stream 1 essenziell sei. Schon vor Beginn der zehntägigen Wartungsarbeiten hatte Gazprom die Gasdurchleitung durch die Pipeline um 60 Prozent gedrosselt. Das trieb die Gaspreise weiter nach oben. Gazprom begründete ausgebliebene Lieferungen gegenüber dem Versorger Uniper mit höherer Gewalt. Uniper habe ein entsprechendes Schreiben von Gazprom Export erhalten, sagte ein Konzernsprecher.

Hämische Freude bei Staatsmedien

Mit der Lieferung der Gasturbine soll Russland ein Vorwand für einen Stopp der Gaslieferungen genommen werden, wie eine Sprecherin von Wirtschaftsminister Robert Habeck deutlich machte. «Es handelt sich um eine Ersatzturbine. Dennoch tun wir alles, um diesen Vorwand zu nehmen». Zwar betont Moskau mit Blick auf die Wartungsarbeiten, Russland wolle seine Verpflichtungen als Gaslieferant auch künftig erfüllen. Aber um die Turbine dreht sich längst die Energiekrise in Europa.

Mit hämischer Freude berichten russische Staatsmedien fast täglich darüber, wie etwa die deutsche Bundesregierung wegen der unsicheren Lage um Nord Stream 1 zum Energiesparen aufruft und Milliarden ausgibt, um die sozialen Folgen rasant steigender Lebenshaltungskosten abzufedern. «Nicht wir haben die Sanktionen gegen uns eingeführt», sagt der Nachrichtenmoderator im Fernsehsender Perwy Kanal.

Auf die Frage aber, ob Kremlchef Wladimir Putin den Gashahn wieder aufdrehen lässt, gibt es in Moskau keine klare Antwort. Deutlich wird nur, dass Russland die Verantwortung für mögliche Schwierigkeiten am ehesten abschieben wird. Auch Gazprom betont immer wieder, auf die kaum gefüllten Gasspeicher in Europa hingewiesen zu haben.

Schuld sind stets die anderen

Der Staatskonzern gibt zudem der Ukraine die Schuld an der Lage, weil nicht einmal mehr die Hälfte der möglichen täglichen Liefermenge durch das Transitnetz des Landes geleitet werde. Die Ukraine, die trotz Moskaus Angriffskrieges derzeit noch rund 40 Millionen Kubikmeter Gas täglich nach Westeuropa pumpt, hätte es am liebsten, dass die EU ganz auf Lieferungen aus Russland verzichtet. Auch die Gasleitung Jamal-Europa ist stillgelegt, weil Polen sich weigerte, das Gas – wie von Putin gefordert – in Rubel zu bezahlen.

Schuld an den Problemen sollen aus russischer Sicht stets die anderen haben. Erinnert wird in Moskau aber angesichts der Energiekrise mit hohen Preisen und unsicherer Versorgung nicht zuletzt daran, dass es eine ganz einfache Lösung für die Lage gebe: Nord Stream 2. Die Gasleitung ist fertig, aber wegen des Ukraine-Krieges nie in Betrieb gegangen. Putin hatte erklärt, dass durch Lieferungen über diese Leitung die Preise wieder sinken und sich die Situation insgesamt entspannen könnte.

Russland selbst, da sind sich viele Experten einig, hat kein Interesse daran, in diesem Konflikt als die Seite dazustehen, die Verträge bricht. Andere Großabnehmer wie China oder die Türkei, die ebenfalls über neu gebaute Gasleitungen versorgt werden, könnten alarmiert werden und an Russlands Zuverlässigkeit zweifeln, wenn die Energiegroßmacht Europa den Hahn abdreht. Russland steht seit langem im Ruf, seine Energie als «geopolitische Waffe» einzusetzen.

Wer sich dagegen mit Russland gut stellt – wie etwa Serbien, Ungarn und vor allem etwa auch der Nachbar Belarus –, kann traditionell auf Freundschaftspreise rechnen. Auch China erhält Gas zu einem deutlich niedrigen Preis als der Westen.

Moskau ist von Gas-Einnahmen abhängig

Manche Politiker in Moskau würden den EU-Staaten wegen der antirussischen Politik des Westens am liebsten gleich den Gashahn abdrehen. Der Westen habe seinen Wohlstand überhaupt nur dank Russlands Rohstoffen so aufbauen können, heißt es allenthalben. Die Entwicklung könne nun endlich gestoppt und zurückgeworfen werden.

Trotzdem weist etwa der russische Energie- und Finanzexperte Marcel Salichow darauf hin, dass Moskau von den Einnahmen aus dem Gasverkauf abhängig sei und seinen Staatshaushalt damit finanziere. Es sei auch nicht möglich, die nach Europa verkauften Mengen einfach umzuleiten und anderswo für die im Westen üblichen Preise zu verkaufen. «Auch nach China lässt sich das nicht umleiten. Es gibt dort keine Gasleitungen mit freien Kapazitäten», sagt der Präsident des Moskauer Instituts für Energie und Finanzen an der Hochschule für Ökonomie.

Außerdem seien Russlands Anlagen für die Verflüssigung von Gas voll ausgelastet. Das Land müsste im Fall eines Abdrehens des Gashahns seine Fördermengen deutlich herunterfahren, meint Salichow. «Aber auch das ist nicht so einfach.» Mit den überschüssigen Mengen das Inland besser versorgen? Schon jetzt werde das in Russland geförderte Gas zu mehr als zwei Dritteln im Land verwendet, erklärt der Experte. Der Verbrauch lasse sich nicht einfach hochfahren.

Sanktionsdruck im Fokus

Durch die Sanktionen des Westens stehen schon jetzt viele Produktionsstätten in Russland still. Und auch wenn immer wieder die teils schlechte Anbindung der Bevölkerung in ländlichen Regionen an das Gasnetz ein Thema in Russland ist, erwarten Experten nicht, dass nun plötzlich überall kostspielig Leitungen verlegt werden. Gazprom verdient damit weniger als im Export.

Ziel Russlands dürfte es daher sein, weiter in die EU zu liefern – allerdings zu klaren Bedingungen. Dazu dürfte nicht zuletzt ein Ende des Sanktionsdrucks im Ukraine-Krieg gehören. Jede Sanktion, die der Westen selbst umgeht, wird in Moskau wie ein Triumph gefeiert. Schon zuletzt zwang Putin viele Abnehmer in der EU zu Rubelzahlungen für russisches Gas. Und auch die Gasturbine soll trotz der Sanktionen nach Russland zurückkehren. Das könne Deutschland nun zwar Hoffnung geben, schreibt die Moskauer Zeitung «Kommersant». «Aber es ist keine Garantie, dass die Lieferungen dann wieder ansteigen.»

Von Ulf Mauder, dpa

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