Draußen Sonne und bis zu 35 Grad – drinnen mehrere Stunden «Tristan und Isolde»: In Bayreuth beginnen heute die Richard-Wagner-Festspiele. Zuvor werden prominente Gäste über den roten Teppich zum Festspielhaus schreiten – Angela Merkel bleibt auch nach ihrer Kanzlerschaft eine treue Bayreuth-Besucherin, außerdem wird Moderator Thomas Gottschalk erwartet.
In den vergangenen Tagen waren die Debatten rund um das weltbekannte Festival allerdings weniger von der Kunst, sondern vielmehr von Sexismusvorwürfen geprägt. #Metoo war das große Thema auf dem Grünen Hügel. «Schockiert» sei sie von Berichten über Übergriffe, Beleidigungen und Anzüglichkeiten, sagte Intendantin Katharina Wagner.
Die Festspiele kündigten Konsequenzen an. «Das sind ungeheure Vorwürfe», sagte der Vorsitzende des Verwaltungsrates, Georg von Waldenfels. Es gebe «gar kein Vertun, dass wir mit allem Ernst und aller Unnachgiebigkeit dem nachgehen werden».
Im «Nordbayerischen Kurier» hatten Frauen anonym berichtet, dass sie auf dem Grünen Hügel angefasst wurden oder sich sexuelle Anzüglichkeiten anhören mussten. Festspiel-Chefin Wagner bestätigte, dass auch sie selbst betroffen war: «Sexuelle Anzüglichkeiten und teilweise Übergriffe in gewisser Weise ja», sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. «Ich habe mich aber zu wehren gewusst.»
«Tristan und Isolde» läuten Festspiele der Superlative ein, denn insgesamt wird es in diesem Jahr fünf neu inszenierte Werke geben, so viele wie noch nie in der Geschichte des Festivals. Premiere feiern nämlich auch die vier Teile des «Ring des Nibelungen». Die Neuinterpretation des Mammutwerks von Regisseur Valentin Schwarz hätte schon 2020 auf dem Spielplan stehen sollen, wurde wegen der Corona-Pandemie aber zweimal verschoben. «Es ist eine wunderbare Arbeit geworden», sagte Wagner.
Ebenso hatte sie am Wochenende das Team von «Tristan und Isolde», Regisseur Roland Schwab und Dirigent Markus Poschner gelobt: «Man kann sich freuen auf Montag.» Corona hatte den Probenbetrieb gehörig durcheinander gewirbelt. «Ring»-Dirigent Pietari Inkinen musste wegen einer Corona-Erkrankung die Proben abbrechen, für ihn übernahm Cornelius Meister, der eigentlich für den «Tristan» in Bayreuth war. Für ihn stieg nun kurzfristig Poschner ein.
Vorsicht ist bei den Festspielen auch weiterhin in Sachen Corona angesagt. Einschränkungen fürs Publikum gibt es zwar nicht, Wagner und der kaufmännische Geschäftsführer Ulrich Jagels appellierten trotzdem an die Zuschauerinnen und Zuschauer, eine FFP2-Maske zu tragen. Katharina Wagner kritisierte in diesem Zusammenhang auch die Pläne der bayerischen Staatsregierung für den traditionellen Staatsempfang nach der Premiere. Sie rate allen Mitwirkenden dringend, den Empfang im Neuen Schloss in der Bayreuther Innenstadt nicht zu besuchen. Sie selbst werde kurz hingehen und sich beim Freistaat, der zu den Festspiel-Gesellschaftern gehört, bedanken – aber mit einer FFP3-Maske.
Schwab bezeichnete «Tristan und Isolde», uraufgeführt 1865 in München, als «das berühmteste Weltflucht-Opus der ganzen Musikgeschichte». Weiter sagte er in einem Interview mit der dpa: «Und wenn eine Zeit das Bedürfnis kennt, der Welt zu entfliehen, dann ist das unsere. Diese Reise will doch jeder machen: Sich von der Welt lösen, Grenzen überwinden, sich verlieren, sich verlieren im Anderen. Es gibt kein Ich und kein Du mehr. Sich verlieren im Universum, in einer universalen Liebe. Diese Sehnsucht möchte ich zulassen. Gerade in unserem aktuellen Zeitkontext ist mir das ganz, ganz wichtig.»