Millionen Leser kennen die Überlebens-Geschichte des mysteriösen, alleingelassenen Mädchens mit dem Spitznamen Kya in den Sümpfen von North Carolina. Die Bewohner des kleinen Küstenortes Barkley Cove verhöhnen sie als verwahrlostes «Marschmädchen», mit dem man nichts zu tun haben will. Als junge Frau steht sie unter ihrem vollem Namen Catherine Danielle Clark wegen Mordes vor Gericht.
In dem Bestsellerroman «Der Gesang der Flusskrebse», der 2019 auch in Deutschland erschien und weltweit millionenfach verkauft wurde, schildert die US-amerikanische Autorin und Zoologin Delia Owens auf über 400 Seiten die fesselnde Story der jungen, ungezähmten Heldin. Nun kommt diese Mischung aus Sozialdrama, Survival-Epos, Romanze, Krimi, Gerichtsthriller und Naturfilm in 126 Minuten Länge auf die Leinwand.
Kampf ums Überleben
Kein einfaches Unterfangen, die Messlatte hängt hoch. Als Romanheldin hat Kya eine große Fangemeinde, ihre bewegte Geschichte pendelt zwischen vielen Zeitebenen hin und her. Es beginnt in ihrer Kindheit in den frühen 1950er Jahren, als ihre Mutter und älteren Geschwister vor dem gewalttätigen, trinkenden Vater (Garret Dillahunt) flüchten. In ihrer kleinen Hütte, ohne Strom und Wasser, wird Kya schließlich auch vom Vater verlassen.
Das Mädchen schlägt sich alleine durch, ohne Schule oder Freunde, nur mit wenigen Kontakten zur Außenwelt. Die Natur um sie herum wird zur Ersatzmutter. Sie lernt von Tieren und Pflanzen, sie fängt Fische und sammelt Muscheln. Von Menschen hält sie sich meist fern, obwohl sie sich nach Nähe sehnt.
Mit dem blonden, naturverbundenen Tate (Taylor John Smith) und dem draufgängerischen Chase (Harris Dickinson) treten zwei junge Männer in ihr Leben, die das ungewöhnliche Mädchen umwerben. Als einer von ihnen am Fuße eines alten Feuerwachturms im Sumpf tot aufgefunden wird, fällt der Verdacht gleich auf das Mädchen aus den Sümpfen. War es Mord oder vielleicht doch nur ein Unfall? Die junge Frau wird vor Gericht gestellt. Ihr Anwalt, gespielt von David Strathairn («Nomadland»), gehört zu den wenigen, die ihr wohlgesonnen sind.
Geballte Frauen-Power
Dem kreativen Team hinter «Der Gesang der Flusskrebse» – weitgehend Frauen – ist die Gratwanderung gelungen, das atmosphärische, spannende Buch in packenden und zugleich poetischen Bildern zu erzählen. Sie habe sich sofort in das Mädchen, das aus eigener Kraft ums Überleben kämpft, verliebt, erzählte Oscar-Preisträgerin Reese Witherspoon der US-Zeitschrift «Vanity Fair».
Witherspoon ist als Produzentin maßgeblich an dem Film beteiligt. Das Buch sei ein «Liebesbrief» an den Süden der USA, wo sie selbst aufgewachsen sei. Wäre sie jünger, hätte sie Kya am liebsten selbst gespielt, sagte die 46-jährige Schauspielerin und Produzentin.
Für die Hauptrolle fand sich die britische Newcomerin Daisy Edgar-Jones (24). Die dunkelhaarige Schauspielerin, durch die TV-Mini-Serie «Normal People» über eine Teenagerliebe bekannt, wirkt auf den ersten Blick zu zart für die Rolle des wilden Naturmädchens. Doch die gebürtige Londonerin verwandelt sich schnell zu Kya mit all ihren Facetten – als einsame, scheue aber zugleich zähe und findige junge Frau.
Das Drehbuch schrieb Lucy Alibar, die mit dem Skript für das Fabel-Drama «Beasts of the Southern Wild» (2012), das in den Sumpfgebieten im Süden von New Orleans spielte, eine Oscar-Nominierung holte. Buchautorin Delia Owens (73) kennt sich mit einsamer Natur bestens aus. Die Zoologin forschte über zwanzig Jahre in der afrikanischen Wildnis und schrieb Sachbücher über die dortige Tierwelt – «Der Gesang der Flusskrebse» ist ihr erster Roman.
Mit Olivia Newman kam eine (noch) wenig bekannte Regisseurin an Bord, die zuvor erst einen Independent-Spielfilm («First Match») gedreht hatte. Newman und ihr Frauenteam kämpften bei den Dreharbeiten in Marschgebieten bei New Orleans mit Sommerhitze, Starkregen, Überschwemmungen und Mückenplagen. «Es war äußerst strapaziös, aber das hatte auch etwas Magisches, denn das war auch Kyas Welt», sagte Newman in «Vanity Fair».
«Der Gesang der Flusskrebse» ist eine Ode an die Natur, in der das absonderliche Mädchen trotz aller Widrigkeiten ein Zuhause findet. Was dem Roman und dem Film an Realismus fehlt, wird durch poetische Bilder wettgemacht. Etwas Kitsch und Klischees bringt das Melodram mit, doch wenigstens trumpft Kya nicht als Superheldin der Sümpfe auf. Wer das Buch liebt, dem dürfte auch die vorlagengetreue Verfilmung gefallen.
Der Gesang der Flusskrebse, USA 2022, 126 Min., FSK ab 12 Jahren, von Olivia Newman, mit Daisy Edgar-Jones, David Strathairn, Taylor John Smith, Garret Dillahunt