Azubi dringend gesucht – das melden immer mehr Betriebe in Deutschland. Aus Sicht des Deutschen Industrie- und Handelskammertages hat sich die Lage auf dem Ausbildungsmarkt noch einmal verschärft. Noch nie sei es für Betriebe schwieriger gewesen, geeignete Azubis zu finden.
«Die Bewerbersituation spitzt sich zu», sagte der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks am Donnerstag in Berlin. Das könne man beschreiben mit dem Satz: «Ausbildungsplatz sucht Azubi.» Der DIHK sprach von alarmierenden Ergebnissen einer Erhebung unter bundesweit rund 15.000 Ausbildungsbetrieben. Mehr als vier von zehn IHK-Ausbildungsbetrieben hätten im vergangenen Jahr nicht alle angebotenen Ausbildungsplätze besetzen können. Dies sei ein Allzeithoch.
Von diesen Unternehmen habe mehr als jedes dritte keine einzige Bewerbung erhalten. Durch Corona-bedingte Einschränkungen seien Berufsorientierung, Berufsberatung und Ausbildungsplatzsuche weiterhin erheblich erschwert. Dazu komme die demografische Entwicklung: immer mehr ältere Arbeitnehmer scheiden aus dem Erwerbsleben aus, immer weniger jüngere kommen nach.
Zwar liegt laut DIHK zum Start des Ausbildungsjahres die Zahl der Ausbildungsverträge im Plus. Genaue Zahlen wollte Dercks nicht nennen. Man sei aber immer noch in einem «tiefen Tal» und liege um 15 Prozent unter dem Vor-Corona-Niveau. Notwendig seien aber deutliche Zuwächse, um dem Fachkräftemangel entgegenwirken zu können.
Weniger Aufträge und verringerte Öffnungszeiten
Die Lücke bei den Azubis führt laut Dercks dazu, dass Unternehmen ihre Angebote oder Öffnungszeiten verringern müssten und weniger Aufträge annehmen könnten. Er sprach sich dafür aus, dass im Zuge einer Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes auch Möglichkeiten der Zuwanderung zur Ausbildung erleichtert werden. Bisher sei dies nur sehr eingeschränkt möglich.
Um Auszubildende zu bekommen, setzt laut Umfrage mehr als jedes zweite Unternehmen auf flache Hierarchien, Motto: «Team-Mitglied» statt «Lehrling». Jede zweite Firma hat die IT-Ausstattung der Azubis verbessert, und mehr als jedes dritte Unternehmen setzt auf finanzielle Anreize. Dahinter verbergen sich laut DIHK «Goodies» wie Beihilfen für Unterkünfte oder Mobilität.
Nach Daten der Bundesagentur für Arbeit von Juli ist die Zahl der gemeldeten Bewerberinnen und Bewerber im Jahresvergleich weiter leicht zurückgegangen, während die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen deutlich gestiegen ist. Der Ausbildungsmarkt entwickle sich zunehmend zu einem Bewerberinnen- und Bewerbermarkt.
Den größten Zuwachs an Stellenmeldungen im Vergleich zum Vorjahr verzeichneten Tourismus-, Hotel- und Gaststättenberufe, bei denen die Rückgänge aufgrund der Pandemiemaßnahmen mit am größten ausgefallen waren. Die Anteile unbesetzter Ausbildungsstellen sei besonders hoch in Bauberufen, in Handel und Verkauf sowie Lebensmittelberufen – also etwa Bäcker oder Fleischer. Dazu kämen Metallberufe, Hotel- und Gaststättenberufe oder Berufskraftfahrer.
Im Gastgewerbe lag die Zahl der bei den Arbeitsagenturen gemeldeten, unbesetzten Ausbildungsstellen im Juli 2022 sechs Prozent höher als im bereits sehr schwierigen Jahr 2021, wie Sandra Warden berichtete, Geschäftsführerin im Deutschen Hotel- und Gaststättenverband. Die Betriebe hätten 7,6 Prozent mehr Ausbildungsplätze gemeldet. Die Branche tue sehr viel dafür, die Ausbildung zu stärken. Dazu gehörten Nachwuchskampagnen: «Das reicht von Aktionen wie Castingshows über geldwerte Vorteile und tolle Incentives bis hin zur Unterstützung bei der Wohnungssuche.»
Nachwuchskampagne sorgt für mehr Einstellungen
In der Baubranche gibt es seit 2019 eine Nachwuchskampagne mit dem Slogan: «Bau Dein Ding», wie eine Sprecherin der Bauindustrie sagte. In der Branche liege das Durchschnittsalter bei 55 plus. Deswegen stellten die Unternehmen verstärkt ein.
DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell sagte: «Von einem Mangel an ausbildungsinteressierten jungen Menschen kann keine Rede sein. Seit Jahren schaffen nur etwa zwei Drittel der Interessierten den Sprung in die Ausbildung.» Im vergangenen Jahr seien rund 230.000 junge Menschen in Maßnahmen des Übergangsbereichs hängen geblieben, was keine Aussicht auf einen Berufsabschluss biete. «Dazu kommen 2,3 Millionen junge Menschen im Alter zwischen 20 und 34 Jahren, die keinen Berufsabschluss haben. Die Potenziale zur Besetzung von Ausbildungsstellen und zur Bekämpfung des Fachkräftemangels sind da. Sie müssen von den Betrieben aber auch genutzt werden.»
Die Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, Gitta Connemann, sagte: «Es muss in Schulen verpflichtend sein, eine Praxiswoche in Handwerks- und Industriebetrieben durchzuführen, um die Schülerinnen und Schüler für diesen Teil der Berufswelt zu begeistern. Deutschland braucht nicht nur Master, sondern auch Meister.»