Menschen stehen auf der Straße und warten auf den Leichenwagen mit dem Sarg von Königin Elizabeth II. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Andreea Alexandru/AP/dpa)

Es liegt etwas in der Luft an diesem Septembertag in Westminster und es ist nicht nur der Duft der Pflanzen und des Erdreichs im Londoner St.-James-Park, den der nächtliche Dauerregen gelöst hat. Als sich die nassen Wege um den Platz vor dem Buckingham-Palast und zu beiden Seiten der Prachtstraße The Mall in den frühen Morgenstunden am Mittwoch mit Menschen füllen, ist zu spüren, dass ein großes Ereignis ansteht.

Queen Elizabeth II. wird ein letztes Mal mit Pomp durch Westminster ziehen – in einem Sarg, gefolgt von ihren Kindern und Enkeln in einer Trauerprozession, wie sie das Land 70 Jahre lang nicht gesehen hat.

«Da schließt sich ein Kreis»

Ann und John Cooper haben die ganze Nacht in der Innenstadt ausgeharrt. Sie sitzen auf einer orangefarbenen Plastikplane an die Absperrung zur Straße hin gelehnt. Beide tragen die gleiche leuchtend rote Outdoor-Jacke. «Es ist ein Ereignis, das nur einmal im Leben vorkommt, und es ist einfach richtig, hier zu sein», sagt die 69 Jahre alte Ann, die sich als «coronation baby» bezeichnet, weil sie im selben Monat geboren wurde, in dem die Queen gekrönt wurde. Das Paar aus der Grafschaft Gloucestershire hat vor beinahe 40 Jahren schon einmal im St.-James-Park gecampt, da waren sie gerade frisch verliebt. Es war der Hochzeitstag von Charles und Diana. Jetzt sind sie wieder da. «Da schließt sich ein Kreis», sagt sie und ihr Mann John nickt.

Auch für die beiden Freundinnen Ann Leo und Alison Harper aus der Grafschaft Kent ist es ein Ereignis, das sie auf keinen Fall verpassen möchten. «Das ist nichts, was wir in unserem Leben noch einmal sehen werden», sagt die 66 Jahre alte Ann und fügt hinzu: «Ich kann mir gar nichts Vergleichbares vorstellen. Vielleicht eine Marslandung?» Alison empfindet es als traurigen und frohen Moment zugleich. Sie war schon beim Leichenzug für Prinzessin Diana dabei. Doch jetzt fühle es sich anders an. «Die Leute waren damals geschockt, die Leute haben getrauert und geweint», erinnert sie sich. Jetzt sei es zwar unglaublich traurig. «Aber man hat auch die Vorfreude auf Charles.»

Prozesion über die Mall bis zum Parlament

Der neue König (73), seine Geschwister und Söhne William (40) und Harry (37) sollen dem Sarg bei der Prozession folgen. Für die Queen ist es ein bekannter Weg. Die Prozession führt über die Mall zum Exerzierplatz Horse Guards Parade und von dort ins Regierungsviertel White Hall bis ins Parlament. Es sind diese Straßen, auf denen sich Elizabeth als 19-Jährige unerkannt unter die jubelnde Menge mischte, tanzte, lachte, ausgelassen den Sieg über Hitler-Deutschland feierte.

Hier beging sie beinahe jedes Jahr in den vergangenen sieben Jahrzehnten mit den Menschen ihren offiziellen Geburtstag bei der farbenprächtigen Militärparade Trooping the Colour – zuletzt in diesem Jahr bei ihrem 70. Jahrestag der Thronbesteigung.

In früheren Jahren saß sie dabei noch selbst auf dem Rücken eines Pferdes. Einmal wurde dabei sogar auf sie geschossen, als sie ihre Gardesoldaten mit den roten Uniformen und den Bärenfellmützen anführte. Doch die Kugel verfehlte ihr Ziel. Später bevorzugte sie die Kutsche.

Doch dieses Mal gibt es keine Marschmusik. Nur das Klappern der Hufe und das Scheppern der Rüstungen und des Zaumzeugs wird zu hören sein, wenn der Leichenzug die von riesigen Union-Jack-Fahnen und Platanen gesäumte Allee hinabzieht. Der Sarg soll auf einer Lafette – einem von Pferden gezogenen Kanonenwagen – gezogen werden. Pferden galt schon immer ihre besondere Liebe. Schon als kleines Kind saß sie im Sattel. Noch wenige Monate vor ihrem Tod soll sie zuletzt auf einem Pferd gesessen haben.

Zwei Kilometer lange Strecke

Die 30-jährige Lidia Belaloui steht seit 2.00 Uhr morgens ganz vorn am Kreisverkehr vor dem Palast. Die Studentin aus Frankreich hat schon als Kind von den britischen Royals geschwärmt. Die Queen ist ein «Vorbild für die Menschheit», findet sie. «Ich habe eine Menge Respekt für sie», sagt sie und fügt nach einer kleinen Pause hinzu: «Sogar Liebe». Sie kann es nicht erwarten, bis der Trauerzug beginnt. Doch sie muss sich noch bis kurz nach 14.00 Uhr gedulden.

Es wird ein seltener Anblick für die Briten, ihre Royals so demütig zu sehen, wie sie die etwa zwei Kilometer lange Strecke zu Fuß zurücklegen. Für William und Harry dürfte es Erinnerungen daran hervorrufen, als sie als Jungen dem Sarg Dianas hinterhertrotteten. Die Erfahrung vom Verlust ihrer Mutter hatte sie einst zusammengeschweißt. Ob der Tod ihrer Großmutter eine ähnliche Wirkung haben wird, muss sich herausstellen.

Ziel des Trauerzugs ist die altehrwürdige Westminster Hall des Parlaments. Für die Briten, die dort zu Hunderttausenden erwartet werden, um von ihrer Königin Abschied zu nehmen, wird ihr Sarg dort mehrere Tage aufgebahrt sein. Das Motto der Queen lautete: «Ich muss gesehen werden, damit man an mich glaubt» – nicht wenige Trauernde dürften an diesem Tag das Gefühl haben, dass sie selbst nach ihrem Tod noch für die Untertanen da ist.

Von Christoph Meyer, dpa

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