Der Regisseur Jean-Luc Godard ist tot. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Jean-Christophe Bott/KEYSTONE/EPA/dpa)

Anspruchsvoll und experimentell: Die einen nannten Jean-Luc Godard den Gott des intellektuellen Films, die anderen den freiesten Denker des Kinos. Und Godard selbst nannte das, was er tat, nicht filmen, sondern produzieren. Godard, der am Dienstag im Alter von 91 Jahren gestorben ist, war einer der innovativsten und einflussreichsten Filmemacher. Seine Ehefrau bestätigte der Schweizer Nachrichtenagentur SDA seinen Tod.

In seinen Werken ist der französisch-schweizerische Regisseur bis an die Grenze des klassischen Kinos und des Mediums Films gegangen. Mit Godard ist der letzte Vorzeigeregisseur der französischen Nouvelle Vague (dt.: Neue Welle) gestorben.

«Außer Atem» gilt als Meisterwerk

Godard hat über 60 Filme gedreht. Zu den bekanntesten zählen «Die Verachtung», «Eine verheiratete Frau» und «Außer Atem», mit dem er sein Langfilmdebüt feierte. Als er 1959 das Kriminaldrama mit Jean-Paul Belmondo drehte, war er der Öffentlichkeit unbekannt und völlig abgebrannt. Der Film, zu dem Truffaut das Drehbuch schrieb, wurde ein Meisterwerk, und der in Paris geborene Sohn eines Schweizer Arztes galt über Nacht als Genie.

Statt wie üblich im Studio zu drehen, hielt Godard die Cafés und Straßen mit seiner Handkamera fest, vor der sich Jean-Paul Belmondo frei bewegte. Seine Schnitte folgten weder Regeln noch einem Rhythmus. Mit «Außer Atem» hat Godard 1960 die Filmsprache revolutioniert. Seitdem experimentierte er unermüdlich mit Form, Inhalt und den Sehgewohnheiten der Zuschauer. Er brauche seine Freiheit. Und die bekomme er, indem er eine gewisse Verwirrung stifte und mit den herkömmlichen Regeln spiele, lautete sein Credo.

Der Filmemacher war der provokativste und innovativste unter den Protagonisten der «Nouvelle Vague». Truffaut, Claude Chabrol, Eric Rohmer und Jacques Rivette gehörten dieser Stilrichtung an, die sich Ende der 1950er Jahre von dem für sie zu konventionell gewordenen französischen Kino abkehrte. Sie machten die individuelle Weltsicht der Autoren, den persönlichen Stil und das filmische Experiment zu einem Markenzeichen ihres Kinos.

Doch Godard wollte mehr als nur das Kino erneuern. Er wollte seine Grenzen ausloten, neue Formen erfinden. Er überwarf sich mit Truffaut, den er für zu angepasst hielt, und wandte sich zunehmend von der Nouvelle Vague ab.

Während seine Gangstergeschichte «Außer Atem» und «Die Verachtung» über einen Drehbuchautor mit Brigitte Bardot und Michel Piccoli noch Handlung im klassischen Sinn besitzen, wurden ab Mitte der 60er Jahre die Handlungen immer fragmentarischer. In «Weekend» aus dem Jahr 1967 begann Godard, die herkömmliche Erzählstruktur radikal aufzulösen. In dem Film über einen Wochenendausflug eines Ehepaars gibt es keinen Plot mehr, sondern nur noch Handlungsschnipsel und Ströme von Bildern und Assoziationen.

In seinem Spätwerk setzte Godard radikaler denn je sein Streben nach formaler und stilistischer Freiheit fort. So in «Bildbuch» aus dem Jahr 2018, einem Kaleidoskop von Bildern und Filmausschnitten, die mit Godards Kommentaren, teilweise auch mit einer kakophonen Tonspur unterlegt sind. Godard spricht dabei Themen wie Krieg und Kriegsverbrechen an und zeigt unter anderem Morde der Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Während in den vorherigen Collagen «Film socialisme» und «Adieu au langage» noch Protagonisten vorkamen, verzichtete der Altmeister in «Bildbuch», für das er in Cannes mit einer Sonder-Palme ausgezeichnet wurde, ganz auf handelnde Personen.

Politisch in Filmen

Korruption, Nahostkonflikt, Vietnamkrieg: Godard war in seinen Filmen schon immer politisch. In «Die Chinesin» outete er sich als Maoist, und «Der kleine Soldat» ruft die Schrecken des Algerienkriegs wach, den die französische Armee gegen die Unabhängigkeitsbewegung in Algerien führte. Der Film wurde in Frankreich zunächst verboten.

Mit «Maria und Joseph», einer Geschichte über die unbefleckte Empfängnis, provozierte er die katholische Kirche. Der Film wurde vom Vatikan als blasphemisch verurteilt und von einigen Ländern auf den Index gesetzt. Und in «Deutschland Neu(n) Null» machte er die Wiedervereinigung Deutschlands zum Thema.

Godard wurde am 3. Dezember 1930 in Paris in eine protestantische bürgerliche Familie geboren, die in Frankreich und der Schweiz lebte. Nach dem Schulbesuch in Nyon im Schweizer Kanton Waadt ging er nach der Scheidung seiner Eltern zurück nach Paris, wo er zusammen mit den Nouvelle-Vague-Mitbegründern Truffaut, Rivette und Rohmer die kritische Filmzeitschrift «Cahiers du Cinéma» ins Leben rief. Seit Anfang der 80er lebte er zurückgezogen in der Schweiz in Rolle am Genfersee.

Godards Filme sind Manifeste eines intellektuellen Kinos, in denen es die Geschichte und die Reflexion über die Geschichte gibt, die Erzählung und die Infragestellung der Erzählung. Und dazu gehört die Frage nach Bild und Sprache und ihrer Beziehung zueinander. Godard lehnte die Idee ab, dass Sprache und Wörter Kopien der Realität sind.

Nur wenige Filme waren Kassenhits. Doch das kommerzielle Kino hat Godard nie interessiert. Für ihn waren Filme wie «Star Wars» oder «Matrix» einfach nur «zu dumm und zu hässlich». 

Würdigung der Europäischen Filmakademie

Die Europäische Filmakademie hat den verstorbenen Regisseur Jean-Luc Godard gewürdigt. Mit ihm verliere das europäische Kino einen seiner unkonventionellsten Vertreter, teilte Direktor Matthijs Wouter Knol am Dienstag mit. Als europäischer Autorenfilmer habe er auch die Konventionen hinterfragt, die vom amerikanischen Studiosystem festgelegt worden seien. «Godards unglaubliches Werk ist schon lange Teil des europäischen Filmerbes und wird nicht nur für sehr lange Zeit eine Inspiration bleiben – sondern auch eine Erinnerung daran, dass es notwendig ist, die eigene Stimme immer wieder neu zu erfinden und für die Qualität und Sichtbarkeit des europäischen Kinos zu kämpfen.»

Von Sabine Glaubitz, dpa

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