Der Europäische Gerichtshof hat in einem neuen Urteil seine Position zur umstrittenen deutschen Vorratsdatenspeicherung bekräftigt. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa)

Das oberste EU-Gericht hat der Speicherung von Telekommunikationsdaten zur Aufklärung von Straftaten in Deutschland mit einem neuen Urteil enge Grenzen gesetzt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) erklärte am Dienstag, die seit 2017 ausgesetzte deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung sei mit dem EU-Recht unvereinbar (C-793/19 und C-794/19). Die Koalitionspartner in Berlin zogen unterschiedliche Schlüsse aus dem Urteil.

Laut EuGH dürfen die Kommunikationsdaten aller Bürgerinnen und Bürger nicht ohne Anlass gespeichert werden. Eine gezielte und zeitlich begrenzte Speicherung der Daten sei nur bei einer ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit möglich, hieß es in dem neuen Urteil. Zur Bekämpfung schwerer Kriminalität könne auch eine Vorratsspeicherung der IP-Adressen möglich sein.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte in Berlin: «Der Koalitionsvertrag macht klar, was jetzt zu tun ist. Es gibt keine anlasslose Speicherung von Kommunikationsdaten mehr.» Solche Daten könnten künftig nur noch dann gespeichert werden, wenn «ein ausreichender Anlass, also der Verdacht einer schweren Straftat und ein plausibler Grund dafür vorliegt, dass diese Daten mit dieser Tat in Verbindung stehen». Buschmann kündigte an, er wolle binnen zwei Wochen einen Referentenentwurf für ein neues Gesetz vorlegen, um schnell eine klare Rechtslage zu haben. Auf Twitter schrieb er nach der Urteilsverkündung: «Wir werden die anlasslose Vorratsdatenspeicherung nun zügig und endgültig aus dem Gesetz streichen.»

Faeser: Urteil erlaubt auch Speicherungen

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte, der Europäische Gerichtshof habe deutlich klargestellt, welche Daten zum Schutz der nationalen Sicherheit und zur Bekämpfung schwerer Kriminalität gespeichert werden dürften. Er habe auch ausdrücklich entschieden: «IP-Adressen dürfen gespeichert werden, um schwere Kriminalität bekämpfen zu können.» Zudem gestatte er gezielte Anordnungen zum Speichern für bestimmte Orte wie etwa Flughäfen, Bahnhöfe oder für Gegenden mit hoher Kriminalitätsbelastung. Diese rechtlichen Möglichkeiten müssten nun auch genutzt werden, sagte Faeser. Dabei sei ihr die entschiedene Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder besonders wichtig. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs sei «eine erneute herbe Klatsche» für die Befürworter der anlasslosen Speicherung von Daten, denen es bis heute nicht gelungen sei, eine verfassungskonforme Regelung vorzulegen, hieß es von der Grünen-Bundestagsfraktion. Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour sagte: «In der Ampel haben wir eine anlasslose Massenüberwachung aller Bürgerinnen und Bürger im Koalitionsvertrag ohnehin ausgeschlossen.» Stattdessen wolle die Koalition «rechtsstaatliche und wirksame Instrumente ergreifen, um schwere Kriminalität zu bekämpfen». Deswegen sei es gut, dass der Bundesjustizminister einen Entwurf für eine Quick-Freeze-Regelung vorlegen werde. Damit könne die Bundesregierung dann «eine Maßnahme auf den Weg bringen, die zielgerichtet Gefahren abwehrt und die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger schützt».

Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU), sagte: «Gut, dass nun endlich Klarheit herrscht.» Sie forderte die Bundesregierung auf, zügig einen Gesetzentwurf vorzulegen.

EuGH sieht Grundrechtseingriffe ohne Rechtfertigung

Die bisherige deutsche Regelung, die wegen rechtlicher Unsicherheiten seit 2017 nicht mehr angewandt wird, kann nach Ansicht der Richter sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben der Personen ermöglichen – etwa auf Gewohnheiten des täglichen Lebens oder das soziale Umfeld. Damit könne ein Profil dieser Personen erstellt werden. Dies sei ein Grundrechtseingriff, der eine gesonderte Rechtfertigung erfordere, erklärten die Richter. Der EuGH blieb damit seiner Linie treu. Das höchste EU-Gericht hatte in den vergangenen Jahren immer wieder nationale Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung gekippt oder stark eingeschränkt.

Die SpaceNet AG, die die Klage angestrengt hatte, begrüßte das Urteil: «Nach sechs Jahren Verfahren sind wir froh, dass das Thema Vorratsdatenspeicherung endlich geklärt ist. Jetzt herrscht wieder Rechtssicherheit für die Internetbranche, unsere Kunden und alle Bürger», sagte der Vorstand der SpaceNet AG, Sebastian von Bomhard.

Auch der Digitalverband Bitkom zeigte sich erfreut: «Es macht keinen Sinn, sich weiterhin an diesem Instrument der anlasslosen Speicherung von Verbindungsdaten abzuarbeiten. Die Politik ist aufgefordert, andere, und zwar gesetzeskonforme Möglichkeiten der digitalen Forensik zu nutzen», sagte Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder.

Bei den Beratungen der Ampel-Regierung über eine Nachfolgeregelung zur Vorratsdatenspeicherung müssten zwei Dinge berücksichtigt werden, forderte der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jochen Kopelke: In welchem Umfang Daten an die Ermittlungsbehörden übergeben würden, dürfe nicht im Ermessen der Telekommunikationsanbieter liegen. Außerdem schränke eine kurze Speicherdauer den Nutzen drastisch ein. Er sagte: «Eine rechtskonforme und im polizeilichen Alltag funktionierende Speicherung von Verkehrsdaten ist gleichsam praktizierter Opferschutz und optimierte Strafverfolgung.»

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