Zum Schlussapplaus drängen alle auf die Bühne: Der monumentale Auftritt Hunderter Darsteller, Musiker, Chormitglieder und anderer Mitwirkender markiert das Ende der Oberammergauer Passionsspiele 2022.
«Es ist vollbracht», sagte Spielleiter Christian Stückl am Sonntag, sichtlich gerührt. Das Publikum im voll besetzten Passionstheater erhob sich zum Applaus.
Die gut 100 Vorstellungen seit Mai sahen rund 412 000 Menschen, viele aus dem Ausland. Einer fast 400-jährigen Tradition folgend stellt das Bergdorf alle zehn Jahre das weltbekannte Laienspiel vom Leiden, Sterben und der Auferstehung Jesu Christi auf die Beine. 1700 Oberammergauer haben mitgewirkt, ein Drittel der Bewohnerinnen und Bewohner.
Manche haben Tränen in den Augen. Nach der langen Zeit des Miteinanders ist bei vielen Wehmut dabei, aber auch Erleichterung. Er sei «froh, dass es jetzt rum ist», sagte Stückl kürzlich. Viele Hürden hatte er dieses Mal zu meistern. Wegen der Pandemie hatte er die Passion 2020 um zwei Jahre verschoben. Als im Januar die Proben neu starteten, war unklar, wie gespielt werden könnte. Immer wieder fielen Spieler mit Corona aus, Rollen wurden eilig umbesetzt.
Am Ende waren gut 91 Prozent der Karten verkauft, mehr als erhofft. Es sei ein Riesenglück, dass es so gelaufen sei, sagt Frederik Mayet, der – im Wechsel mit Rochus Rückel – zum zweiten Mal den Jesus gab.
Geht die Ära Stückl zuende?
Das Kreuz verschwindet nun mit anderen Requisiten im Fundus – vorerst. Schon in zwei Jahren beginnen die Vorbereitungen für die Passion im Jahr 2030. Ob Stückl dann nochmals bereit steht, ist unklar – eine Ära könnte zu Ende gehen. Auch für ihn seien viele Fragen offen, wie es nach dem Passionsspiel weitergehe, sagt der 60-Jährige, der die Passion zum vierten Mal inszenierte. Der musikalische Leiter Markus Zwink, der auch zum vierten Mal in der Position war, hat bereits seinen Rückzug erklärt.
Stückl, Zwink und Bühnenbildner Stefan Hageneier hatten seit 1990 die Passionsspiele in vielerlei Hinsicht modernisiert. Stückl als Spielleiter trieb den Dialog mit Vertretern des Judentums voran und befreite das Stück von antisemitischen Inhalten.
Erneut ließ er das «Schma Israel», eines der wichtigsten Gebete der Juden, auf Hebräisch singen. Jesus und die Jünger trugen Kippa. Stückl setzte mit der Betonung des Jüdischen in der Passion auch ein Zeichen gegen aktuellen Antisemitismus. Passend zu einer aus den Fugen geratenen Welt zeigte er zudem einen streitbaren und mitunter wütenden Jesus, der radikal zum gewaltlosen Widerstand aufruft.
Eine Inszenierung, die weithin gefiel – und provozierte. Just zum Ende der Passion äußerte sich in der «Süddeutschen Zeitung» der Judaist Peter Schäfer. Er sprach von einem «jüdisch-christlichen Einheitsbrei» und mit Blick auf Worte und Gebete auf Hebräisch von «Folklore». Bei anderen Vertretern des Judentums und jüdischen Organisationen bekam Stückl für sein Engagement Lob und hochkarätige Auszeichnungen, etwa die Buber-Rosenzweig-Medaille, den Abraham-Geiger-Preis und Isaiah Award des American Jewish Committee.
Hochbetrieb bei den Friseuren bis tief in die Nacht
Zur Schlussvorstellung kam nochmals der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, mit mehreren Bischöfen. Während auf der Freilichtbühne bei herbstlicher Kälte Jesus ein letztes Mal gekreuzigt wurde, hatten Friseure im Ort schon Hochbetrieb. Die ersten, die nicht mehr auf die Bühne mussten, kamen nachmittags, um Haare und Bärte schneiden zu lassen. Hochbetrieb dann nach der Vorstellung: Bis tief in die Nacht wurde geschnitten und rasiert, am Montag griffen die Coiffeure erneut zur Schere. Seit Aschermittwoch 2021 hatten fast alle Mitwirkenden gemäß der Tradition Friseurverbot.
Der Friseursalon Kretschmar holte Verstärkung aus Garmisch-Partenkirchen: Herrenfriseur Rainer Herrmann kümmerte sich speziell um die Bärte. Nach eineinhalb Jahren Wachstum sei das Rasieren eine besondere Sache. «Die Haut ist empfindlich. Da kann man nicht einfach drüber rasieren.» Herrmann hat vorgesorgt: «Ich habe mich gut eingedeckt mit sanften Klingen für die Oberammergauer.»
Lange durften die Friseure nur in Form bringen, damit es nicht zu verwildert aussah. Nun können sie Männern und Frauen wieder Kurzhaarschnitte verpassen – und Haare auch pink oder grün färben. Auf der Bühne musste alles natürlich aussehen, Farben, aber auch künstliche Fingernägel und Wimpern oder greller Nagellack waren tabu. So verzeichnet auch Kosmetikerin Carina Purzner einen «Buchungsboom».