«Menschen um die Ecke» waren sein Metier. Geschichten aus dem Leben, erzählt ohne viel Schnörkel, direkt und klar. Wolfgang Kohlhaase schrieb das in Drehbücher.
Daraus wurden gefeierte Erfolge wie «Solo Sunny» oder «Sommer vorm Balkon». Mit fast drei Dutzend solcher Arbeiten hat Kohlhaase deutsch-deutsche Filmgeschichte geschrieben und wurde zu einem der wichtigsten Drehbuchautoren mit internationaler Reputation. Nun ist er im Alter von 91 Jahren gestorben.
Kohlhaase lebte in Berlin und in einer kleinen Gemeinde in Brandenburg. Fünf Jahrzehnte lang bewohnte er dort ein Haus mit prächtigem Garten. Teile seiner beruflichen Trophäen verwahrte er auf dem Kachelofen: der Goldene Bär etwa, den er während der Berlinale 2010 für sein Lebenswerk bekam. Direkt daneben die Goldene Henne seiner Frau Emöke Pöstenyi, die als Solotänzerin des DDR-Fernsehballetts und Choreografin Erfolge feierte.
Er war geprägt vom Zweiten Weltkrieg
Im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur erinnerte sich Kohlhaase vor seinem 90. Geburtstag daran, wie er früh Eindrücke sammelte: «Was du in den ersten sechs Jahren deines Lebens aus dem Küchenfenster siehst, das vergisst du nicht. Davon hängt sehr viel ab.»
Seine jungen Jahre waren geprägt vom Zweiten Weltkrieg, den er in Berlin-Adlershof erlebte. «Ich habe versucht zu reden, zu schreiben und auch Filme zu machen über den Hintergrund meiner Kindheit. Das war die Nazizeit, das war der Krieg. Das war das vergeudete Leben meiner Eltern», schilderte er es selbst.
Kohlhaase schrieb für «Start» oder das FDJ-Blatt «Junge Welt». Ein Termin für die Zeitung brachte ihn nach Babelsberg zur Defa, dem zentralen Filmunternehmen der DDR. Diese Welt faszinierte ihn: «Die Schauspieler rochen wunderbar nach dem Staub, den das Scheinwerferlicht verbrannte.»
Der Neorealismus war eine Entdeckungsreise
Ohne Vorbildung bekam er einen Job als dramaturgischer Assistent. Für ihn waren Dramaturgen «Leute, die anderen Leuten in ihre Sachen reinreden. Das fand ich sehr gut und habe mich mit Zuversicht beteiligt.»
Aus Italien kam der Neorealismus ins deutsche Nachkriegskino. Für Kohlhaase war es eine Entdeckungsreise: «Ich hatte Kino für was Nobles gehalten: Das ist zu Pferde, das sind feinere Leute. Und plötzlich kamen diese Nachkriegsitaliener mit diesem wunderbaren Neorealismus und erzählten die Geschichten von der Straßenecke.» Als junger Drehbuchautor habe er sich gedacht: «Mensch, das geht. Ja, das kannst du auch erzählen.»
«Berlin um die Ecke» landete im Giftschrank
Mit dem Regisseur Gerhard Klein realisierte Kohlhaase den Krimi «Alarm im Zirkus» (1954) und den Film «Berlin – Ecke Schönhauser…» (1957) über Berliner Jugendliche, einer der wohl wichtigsten und erfolgreichsten Defa-Filme. Mit dem avantgardistisch angelegten «Der Fall Gleiwitz» (1961) bekam das Duo internationale Reputation.
Bei «Berlin – Ecke Schönhauser…» hatten die DDR-Oberen schon ihre Probleme, der Generationenkonflikt in «Berlin um die Ecke» war 1965 dann zuviel der Kritik am Sozialismus. Der Film blieb in den Schränken, wie fast die gesamte Defa-Produktion dieses Jahres.
Kohlhaase selbst hatte nach eigenen Angaben nie vor, die DDR zu verlassen. Er sah sich «verabredet mit dem Ort, in dem ich wohne und mit der Gesellschaft, in die ich eingetreten bin, man ist ja auch mit sich selbst verabredet».
Zu seinen guten Filmen zählte Kohlhaase «Solo Sunny» (1980). «Ich war neunzehn» (1965) sah er als bleibenden Film über den Krieg. Wichtig war ihm auch der gefeierte «Sommer vorm Balkon», für den er 2005 die abendlichen Dialoge von Inka Friedrich und Nadja Uhl verfasste.
Für Volker Schlöndorff schrieb Kohlhaase nach der Wende «Die Stille nach dem Schuss» (2000) über eine in der DDR untergetauchte RAF-Terroristin. Kohlhaase erinnerte sich an den deutsch-deutschen Stoff: «Im selben Jahr verschwinden zwei Utopien: eine große und beinahe reale namens DDR und eine romantische und eigentlich irreale namens RAF.»
Günter Agde (Hrsg.), Wolfgang Kohlhaase, «Um die Ecke in die Welt», Eulenspiegel Verlagsgruppe, 368 S., 20 Euro, ISBN 978-3-355-01903-3
Wolfgang Kohlhaase, «Erfindung einer Sprache und andere Erzählungen», Verlag Klaus Wagenbach, 208 S., 18 Euro, ISBN 978-3-8031-3335-9