Deborah Borda ist eine vielbeschäftigte Frau dieser Tage und ihre Zeit ist knapp. Immer wieder klingelt das Handy der Chefin der New Yorker Philharmoniker, mit klassischer Musik als Klingelton, während sie Journalisten durch die komplett umgebaute und renovierte Konzerthalle des Orchesters führt, die diesen Samstag (8. Oktober) wieder eröffnen soll. Energisch drückt sie die Anrufe weg, oder geht kurz dran und gibt ein paar knappe Anweisungen. Währenddessen versucht sie immer wieder, die Grundidee des für rund 550 Millionen Dollar runderneuerten Gebäudes deutlich zu machen: «Alles soll euch einladen.»
Die Konzerthalle liegt am Lincoln Center auf der Upper West Side von Manhattan – in direkter Nachbarschaft der Metropolitan Oper und der Aufführungshalle des New Yorker Balletts ein Zentrum der Hochkultur der Stadt. Die 1962 eröffnete Konzerthalle ist die Heimat der New Yorker Philharmoniker, des ältesten philharmonischen Orchesters der USA, das zu den besten der Welt gezählt wird. Stars der Klassikwelt wie Kurt Masur, Zubin Mehta, Leonard Bernstein und Gustav Mahler haben die New Yorker Philharmoniker schon dirigiert. Ihre Konzerthalle hieß zunächst Philharmonic Hall, dann nach Großspenden erst Avery Fisher Hall, und nun trägt sie den Namen des Entertainment-Moguls David Geffen.
Aber seit ihrer Eröffnung schon war die Konzerthalle «notorisch verhext», wie es die «New York Times» nennt: Kritik gab es vor allem an Akustik und Design. Frühere Pläne zum Umbau waren immer wieder unter anderem an komplizierter Logistik und Geldmangel gescheitert – bis Borda 2017 von den Philharmonikern in Los Angeles zurück an ihre frühere Wirkungsstätte in New York kam. «Was müssen wir tun, um dich zu bekommen?», hatte Chefdirigent Jaap van Zweden sie damals bei einem Abendessen gefragt. «Wenn es irgendjemanden auf der Welt gibt, der weiß, wie man ein Orchester managt, dann ist es sie», sagt der Holländer.
Akustik und Design
Borda nahm das Projekt Umbau in die Hand, während ihre Philharmoniker zeitweise an anderen Orten und wegen der Corona-Pandemie zeitweise auch gar nicht auftraten – und nun konnten die Arbeiten rund zwei Jahre früher als zunächst geplant abgeschlossen werden. Alles solle einladend und offener wirken, sagt Borda. Konnte das Gebäude früher nur von einer Seite betreten werden, hat es jetzt einen zweiten Eingang, dazu ein neues Restaurant und eine Kaffee-Bar. Auf einem riesigen Bildschirm im Eingangsbereich können die Konzerte live und kostenlos verfolgt werden.
In einer anderen von der Straße einsehbaren Ecke stapelten sich früher Kartons und ausgedientes Büromaterial, jetzt gibt es dort einen zweiten bunt gestalteten Aufführungsraum. Kinderkonzerte oder sogar Yoga-Kurse könne sie sich dort vorstellen, sagt Borda.
Im Herzstück der Konzerthalle ging es beim Umbau vor allem um Akustik und Design. 500 Plätze weniger gibt es nun, aber diese sind um das Orchester herum angeordnet. Die Decke wurde angehoben und der Boden des Zuschauerraums steigt nun nach hinten leicht an. «Wenn man hinten saß, konnte man früher nur den Hinterkopf des Zuschauers vor einem und die Socken der Viola-Spieler sehen«, sagt Borda. Überhaupt die Sitze. Mit jeder Sorte Mensch hätten sie sie getestet. «Groß, klein, dick, dünn – also bitte setzt euch und schaut, ob ihr sie auch gemütlich findet.» Die Polster und auch einige Wände sind mit einem Stoff bezogen, dessen Muster an fallende Rosenblätter erinnern soll – was vorab mit einem seitengroßen Bild in der «New York Times» schon einige Vorschusslorbeeren einheimste.
Kulisse für die «West Side Story»
Eröffnet wird die Konzerthalle mit einem Stück, das die Geschichte des Lincoln Center thematisiert, und für das der Preis für die Eintrittskarten selbst ausgewählt werden konnte: «San Juan Hall: A New York Story» von dem in Trinidad geborenen Jazz-Trompeter Etienne Charles. In den 1940er und 50er Jahren stand an dieser Stelle New Yorks das Viertel San Juan Hill, ein Einwanderviertel, in dem sich berüchtigte Gangs bekämpften. Schließlich wurde San Juan Hill brutal abgerissen – zuvor aber zwischen den geräumten Häusern als Kulisse noch schnell die Geschichte von San Juan Hill zum Film: «West Side Story», später mit zehn Oscars ausgezeichnet.
Auch Chefdirigent van Zweden und sein Orchester werden bei «San Juan Hall: A New York Story» dabei sein, danach haben sie eine vollgepackte Spielzeit vor sich. Van Zweden hat schon angekündigt, dass er nach der Saison 2023/24 sein Amt aufgeben will. Wer ihm folgt, ist noch nicht klar – eine der vielen Aufgaben, die Chefin Borda trotz erfolgreich abgeschlossener Renovierung noch vor sich hat. Und so wird sie nach rund einer halben Stunde Führung durch die Konzerthalle auch schon wieder unruhig. «Ich muss weiter, ich leite die New Yorker Philharmoniker.»