Die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt BBC wird 100. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Christoph Meyer/dpa)

«This is London calling» – diese Worte sind für viele Menschen in dem von Nazi-Deutschland besetzten Europa während des Zweiten Weltkriegs wie die Verheißung auf ein Leben in Freiheit und Würde. Sie kommen aus knisternden Radiogeräten und stammen von der britischen BBC.

Am 18. Oktober hat der Sender rundes Jubiläum: Die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt Großbritanniens, die als British Broadcasting Corporation Weltruhm für ihre Qualität erlangen sollte, ist vor 100 Jahren, am 18. Oktober 1922, gegründet worden.

Der Anspruch ist von Anfang hoch, aber auch breit gefasst gewesen, wie der emeritierte Medienwissenschaftler David Hendy von der Universität of Sussex im Interview der Deutschen Presse-Agentur sagt. «Inform, Educate, Entertain» (Informieren, Bildung vermitteln, Unterhalten) – diese Formel prägt der erste Generaldirektor der BBC, John Reith. Jede Hörerin und jeder Hörer soll durch den beitragsfinanzierten Dienst Zugang zum Besten haben, was der Rundfunk zu bieten hat. Diesem Motto ist die BBC bis heute treu geblieben.

Gegen die NS-Propaganda

Manche Programme sind die ersten ihrer Art und laufen über viele Jahrzehnte. Sie locken teilweise das halbe Land an die Lautsprecher. Das gelingt zum Beispiel der ersten BBC-Radio-Talkshow «In town tonight», bei der unter anderen US-Film- und Musikstars wie Errol Flynn und Doris Day interviewt werden.

Während des Zweiten Weltkriegs erarbeitet sich die BBC zudem den Ruf als erstklassige Nachrichtenquelle, auf die man sich im Gegensatz zur deutschen NS-Propaganda verlassen kann. In Nazi-Deutschland ist der BBC-Empfang verboten. Diejenigen, die sich trotzdem heimlich um leise gestellte Radiogeräte scharen, sprechen ehrfürchtig von der «Stimme der Wahrheit», die in diesen Jahren auch auf Deutsch sendet.

Der spätere französische Präsident General Charles de Gaulle ruft von London aus via BBC zum Widerstand gegen die deutschen Besatzer auf. Deutschlands Literaturnobelpreisträger Thomas Mann spricht im kalifornischen Exil flammende – wenn auch vergebliche – Appelle an seine Landsleute auf Tonband auf, die von der BBC verbreitet werden.

Die Treue der Hörer in Deutschland hält Jahrzehnte. Noch in den 1980er Jahren geht beim deutschen Dienst regelmäßig Post von Fans aus Deutschland ein, die die Programme nach wie vor für die besten der Welt halten. Mit der Kriegsgeneration stirbt aber auch ein Großteil der treuen Hörerschaft. 1999 wird der deutsche Dienst eingestellt.

Die Krönung der Queen mit 20 Millionen Zuschauern

Schon 1936 beginnt die BBC mit ihrem ersten regulären Fernsehprogramm. Die Krönung von König George VI. im Jahr darauf ist das erste, teilweise live übertragene Fernsehevent der BBC-Geschichte. Die Krönung seiner Tochter als Queen Elizabeth II. im Jahr 1952 lockt mehr als 20 Millionen Zuschauer vor die Fernsehbildschirme.

Nach dem Krieg wird die BBC zur Blaupause des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland und inspiriert Generationen von Journalistinnen und Journalisten. «Die BBC war für mich als junge Journalistin immer der Leuchtturm, das Vorbild schlechthin», sagt die ARD-Studioleiterin in London, Annette Dittert, im dpa-Gespräch. Beispielsweise seien die politischen Interviews der Moderatoren um ein Vielfaches härter und kompromissloser gewesen als in Deutschland. «Umso schlimmer war es deshalb für mich zu beobachten, wie diese Furchtlosigkeit seit dem Brexit unter dem aggressiven Druck der Johnson-Regierung immer mehr dahinzuschmelzen schien», so Dittert.

Tatsächlich gerät die BBC im 100. Jahr ihres Bestehens wohl unter so hohen Druck wie nie zuvor. Nachdem die konservative Regierung beschloss, die Höhe der Rundfunkbeiträge vorübergehend einzufrieren, muss der Beeb, wie die BBC auch genannt wird, massive Streichungen an seinem nationalen und internationalen Programm vornehmen.

Doch das ist nicht alles: Plänen der Regierung des konservativen Ex-Premiers Boris Johnson zufolge soll die Beitragsfinanzierung im Jahr 2027 sogar komplett abgeschafft werden. Was danach kommen soll, ist unklar. Geht es nach vielen Politikern der Konservativen Partei soll die BBC ein Streaming-Dienst werden wie Netflix, den man abonnieren kann oder auch nicht.

Die Gebührenfinanzierung wird hinterfragt

Die BBC «hatte immer eine schwierige Beziehung mit Regierungen, und zwar jeglicher Couleur», sagt der Medienwissenschaftler Hendy. Das beginnt bereits früh, als sich die BBC während eines Generalstreiks 1926 gegen die Begehrlichkeiten eines gewissen Winston Churchill, damals Finanzminister, später Premier, wehren muss, der sie zum Verlautbarungsorgan der Regierung machen will.

Doch die Regierung, sagt Hendy, sei inzwischen radikal nach rechts gerutscht und greife alle möglichen Institutionen an wie die Beamtenschaft, die Justiz und die BBC. «Es drängt sich der Verdacht auf, dass sie nicht produktiv nach einer alternativen Finanzierungsform suchen, sondern die BBC zusammenstutzen wollen.»

Ähnlich brachte das erst im August die frühere BBC-Journalistin Emily Maitlis bei einer Vorlesung zum Ausdruck. Sie sieht im Brexit und der Bewegung um Ex-US-Präsidenten Donald Trump populistische Strömungen mit autoritärem Hang, die kritische Medien mundtot machen wollen.

«Wir beobachten, wie Politiker eine Richtung einschlagen, die zutiefst und eindeutig schädlich sind für unsere grundlegende demokratische Regierung», so Maitlis. Sie warnt davor, sich als Journalisten von den selbst ernannten Volkstribunen vor sich hertreiben zu lassen mit dem Verweis auf eine ausgewogene Berichterstattung. Wenn eine Seite konstant die Unwahrheit sage, müsse man das auch beim Namen nennen, fordert sie.

Die drohende Abschaffung der Beitragsfinanzierung nennt Dittert «eine Katastrophe für die britische Medienlandschaft, die schon jetzt sehr wenig Vertrauen genießt». Doch ob es wirklich soweit komme, sei abzuwarten. «Und ob die Tories bei dem Chaos, das sie hier gerade anrichten, 2027 überhaupt noch im Amt sind, das ist auch noch nicht ausgemacht», sagt sie im Hinblick auf die krisengeschüttelten ersten Wochen der neuen konservativen Premierministerin Liz Truss.

Von Christoph Meyer und Christiane Oelrich, dpa

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