Elon Musk hat den Kurznachrichtendienst Twitter übernommen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Adrien Fillon/ZUMA Press Wire/dpa)

Twitter steuert mit dem Kauf durch Elon Musk in eine unklare Zukunft. Der Online-Dienst kommt unter vollständige Kontrolle des reichsten Mannes der Welt, der bei Online-Plattformen viel Erfahrung darin hat, wie man mit frechen bis erratischen Tweets für Aufmerksamkeit sorgt – aber nicht wie man eine führt.

Darüber, wie genau sich der Dienst unter der Regie des Tech-Milliardärs verändern wird, kann man derzeit nur spekulieren. In den vergangenen Monaten kündigte Musk an, bei Twitter für mehr Meinungsfreiheit zu sorgen, Fake-Accounts und automatisiert postende Bots zu bekämpfen, den Dienst zu einer Allzweck-App nach Art etwa von WeChat in China auszubauen und den dauerhaft verbannten US-Präsidenten Donald Trump zurück auf die Plattform zu lassen. Letzteres geht leicht – darüber, wie Musk den Rest erreichen will, weiß man nicht viel.

Dazu kommt, dass Musk durch Verkäufe von Aktien des Elektroautobauers Tesla, Kredite und Investorengelder rund 44 Milliarden Dollar für eine Firma zusammenkratzte, die in ihrem besten Jahr 1,47 Milliarden Dollar Gewinn machte und meist rote Zahlen schrieb. Der Umbau sollte also auch das Geschäft ankurbeln, damit das Geld nicht weg ist.

Politische Macht im öffentlichen Diskurs

Twitter veränderte die Welt mit einem einfachen Konzept: Jeder kann eine kurze Nachricht tippen, jeden Nutzer auf der Welt kann sie erreichen. Die Notwasserung eines Passagierjets im New Yorker Hudson River, erste Hinweise auf die US-Aktion gegen Terroristenführer Osama bin Laden – zuerst erfuhr man davon via Twitter.

Prominente, Politiker und Journalisten geben der Plattform Macht im öffentlichen Diskurs. Trump regierte sogar mitunter per Twitter: Legendär ist, dass etwa sein Außenminister Rex Tillerson aus einem Tweet des Präsidenten von seiner Entlassung erfuhr.

Doch Twitter gelang es nie, dieses Gewicht in der Welt in lukratives Geschäft umzumünzen. Und anders als etwa Mark Zuckerberg bei Facebook sicherten sich die Gründer keine Aktien mit mehr Stimmrechten, die ihre Kontrolle zementieren würden. So wurde die Online-Plattform mit globalem Einfluss zu einem relativ leichten Übernahmeziel. Zuletzt ließ auch die Aktivität vieler Prominenten-Accounts merklich nach. «Stirbt Twitter?», fragte Musk im Frühjahr – wenige Tage bevor er das Kaufangebot machte.

Beschwerden meist aus rechtem Spektrum

Vor allem in den USA löste Musks Kritik an angeblicher Einschränkung der Meinungsfreiheit bei Twitter Sorgen aus. Schließlich kamen die Beschwerden darüber in den vergangenen Jahren vor allem aus dem rechten politischen Spektrum. Und sie bezogen sich hauptsächlich darauf, dass Twitter gegen falsche Informationen zum Coronavirus vorging – sowie gegen Gewaltaufrufe und die Lüge von Donald Trump, dass ihm der Sieg bei der Präsidentenwahl gestohlen worden sei.

Auch andere Online-Plattformen wie Facebook führten solche Beschränkungen ein, um die Gesundheit von Nutzern zu schützen und eine Eskalation politischer Spannungen zu verhindern. Musk vertrat dagegen die Ansicht, dass alles nicht per Gesetz verbotene erlaubt sein sollte. «Wenn Leute wollen, dass es weniger Redefreiheit gibt, werden sie Regierungen bitten, Gesetze in diese Richtung zu verabschieden», schrieb Musk bei Twitter. «Entsprechend ist es gegen den Willen der Menschen, über das Gesetz hinauszugehen.»

Europa gab sich striktere Gesetze zum Kampf gegen Hass und Hetze auf Online-Plattformen. Dem EU-Kommissar Thierry Breton sicherte Musk bereits zu, dass Twitter sich an europäische Vorgaben halten werde. In den USA sorgen hauptsächlich die Regeln der Plattformen dafür.

Kurz vor Vollzug der Übernahme versuchte Musk, die Wogen zu glätten. Twitter dürfe kein «Ort des Grauens» werden, wo ohne Konsequenzen alles gesagt werden könne, schrieb er in einem offenen Brief an Anzeigenkunden. Der Dienst müsse «warm und einladend für alle» sein.

Kanye West, «mein Freund»

Ein paar Wochen zuvor war da allerdings noch die Sache mit Kanye West. Als der Rapper im Oktober wegen eines antisemitischen Beitrags bei Instagram gesperrt wurde, postete er erstmals seit fast zwei Jahren wieder bei Twitter. «Willkommen zurück zu Twitter, mein Freund», begrüßte Musk ihn per Tweet. Nur einen Tag später wurde West auch von Twitter wegen einer antisemitischen Äußerung gesperrt. Musk schrieb danach, er habe mit West gesprochen «und meine Besorgnis über seinen jüngsten Tweet ausgedrückt – die er, glaube ich, sich zu Herzen genommen hat». Moderiert der Chef dann auch künftig selbst?

Politisch solidarisierte sich Musk zuletzt mit der weiter von Trump beherrschten Republikanischen Partei. Die Demokraten von US-Präsident Joe Biden seien zur «Partei der Spaltung und des Hasses geworden», schrieb er im Mai bei Twitter. Applaus bekam Musk dafür von der rechten Abgeordneten Lauren Boebert – einer Trump-Anhängerin und Verfechterin lockerer Waffengesetze, die gegen Corona-Maßnahmen, Abtreibungen, homosexuelle Ehen und erneuerbare Energie einsteht.

Ganz «offensichtlich» bezahle er nach aktuellem Stand zuviel für Twitter, räumte Musk jüngst in einer Tesla-Telefonkonferenz ein. Aber das «langfristige Potenzial» berge einen viel größeren Wert.

Angesichts der Unklarheit, wie er dieses Potenzial heben will, sorgten Musks jüngste Versuche, außenpolitischen Einfluss zu nehmen, für Unruhe. So schlug er vor, aus Taiwan eine «Sonderverwaltungszone» unter chinesischer Herrschaft zu machen. Die Regierung in Taipeh wies das als «inakzeptabel» zurück. Auch plädierte Musk dafür, die Ukraine solle die von Russland widerrechtlich annektierte Krim verloren geben und einem Referendum unter UN-Aufsicht in ihren von russischen Truppen besetzten Gebieten zustimmen.

Musk ist auch Tesla-Chef und der Wert seiner dortigen Aktien macht ihn aktuell zum reichsten Menschen der Welt. Da Tesla ein großes Werk in Shanghai hat, das sehr wichtig für die Firma ist, wurde in der Öffentlichkeit schon früher die Sorge geäußert, Musk könne bei Twitter zum Beispiel die Meinungsfreiheit rund um China einschränken, um sich mit der Führung in Peking gut zu stellen.

Von Andrej Sokolow und Hannes Breustedt, dpa

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